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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Nationalsozialisten begleitet hatte. Der Marsch war die Musik der jungen und verhängnisvollen Geschichte. Der Saal hob sich wie eine einzigegeschwellte Brust der Begeisterung von den Plätzen. Es waren nicht Nazis, die sich da erhoben. Es waren Biertrinker. Die Stimmung allein machte es, daß alle sich erhoben. Es war nur eine Gaudi! Warum so ernst sein? warum an Vergangenes, Begrabenes, Vergessenes denken? Auch die Amerikaner wurden von der Stimmung mitgerissen. Auch die Amerikaner erhoben sich. Auch die Amerikaner summten den Marsch des Führers, schlugen mit Füßen und Fäusten den Takt. Amerikanische Soldaten und davongekommene deutsche Soldaten umarmten sich. Es war eine warme rein menschliche Verbrüderung ohne politische Absicht und diplomatischen Handel. FRATERNIZATION VERBOTEN, FRATERNIZATION FREIGEGEBEN, DIE WOCHE DER GUTEN NACHBARSCHAFT . Christopher fand es wunderbar. Er dachte › war um sträubt Henriette sich dagegen? warum kann sie nicht vergessen? sie sollte das hier sehen, es ist wunderbar, es sind prächtige Leute‹. Ezra beobachtete die Kapelle, er beobachtete die Menschen. Seine Stirn hatte sich noch mehr gekraust; ganz eng, ganz klein war sie. Er hätte schreien mögen! Er war in einem finsteren Wald. Jeder Mann war hier ein Baum. Jeder Baum war eine Eiche. Und jede Eiche war ein Riese, der böse Riese des Märchens, ein Riese mit einer Keule. Ezra ahnte, daß er den Aufenthalt in diesem Wald nicht lange ertragen konnte. Er würde die Furcht nicht lange mehr bannen können. Wenn der Junge mit dem Hund nicht bald kam, würde Ezra schreien. Er würde schreien und davonlaufen. Frau Behrend drängte sich durch die Reihen. Sie suchte Richard, den jungen amerikanischen Verwandten, den Sohn des Paketeschickers, man konnte nicht wissen, vielleicht kam wieder eine schlechte Zeit, KONFLIKT VERSCHÄRFT SICH , Verwandte mußten zusammenhalten. Welch eine Dummheit von dem Jungen, sie in das Bräu haus zu bestellen! Fast an jedem Tisch saß ein Amerikaner. Sie saßen da wie unsere Soldaten, fast wie die Soldaten der Wehrmacht; sie saßen nur in schlechterer Haltung, sie saßen bequem und nicht zackigda. ›Zu viel Freiheit verwildert‹ dachte Frau Behrend. Sie sprach junge Amerikaner an: »Bist du es, Richard? Ich bin Tante Behrend!« Sie erntete Verständnislosigkeit oder Gelächter. Einige riefen »setz dich, Alte« und schoben ihr den Bierkrug hin. Ein dicker Kerl, ein Faß fast, klapste ihr den Hintern. ›Was die für Soldaten haben, es sind nur ihre Autos und ihre Flugzeuge die gesiegt haben.‹ Frau Behrend eilte weiter. Sie mußte Richard finden! Richard durfte nicht nach Hause berichten, was die giftige Lebensmittelhändlerin ihm erzählt hatte. Frau Behrend mußte Richard finden. Sie sah ihn mit einem Mädchen sitzen, einem schwarzlockigen ganz hübschen Flitscherl. Die beiden tranken aus einem Krug. Die linke Hand des Mädchens lag auf der rechten Hand des jungen Mannes. Frau Behrend dachte ›ist er das? er könnte es sein, dem Alter nach könnte er es sein, aber er kann es nicht sein, es ist unmöglich daß er es ist, er wird doch wenn er mit seiner Tante verabredet ist nicht sein Flitscherl mitbringen. Richard merkte, daß die Frau ihn beobachtete. Er erschrak. Er dachte ›das ist sie wohl, die Frau mit dem Fischgesicht ist die Tante mit der Negertochter, ich bin nicht neugierig, ich will mich nicht aufdrängen‹ Er wandte sich seinem Mädchen zu, er nahm das Fräulein in die Arme und küßte es. Das Fräulein dachte ›ich muß aufpassen, er ist stürmischer als ich dachte, ich fürchtete er würde mich erst vorm Haus küssen‹. Des Fräuleins Lippen schmeckten nach Bier. Auch Richards Lippen schmeckten nach Bier. Das Bier war sehr gut. ›Er ist es nichts dachte Frau Behrend, ›er würde sich nie so benehmen, auch wenn er in Amerika groß geworden ist, würde er sich nie so benehmen‹ Sie setzte sich auf eine Bank und bestellte sich zögernd ein Bier. Das Bier war eine unnötige Ausgabe. Frau Behrend machte sich nichts aus Bier. Aber sie war durstig, und sie war auch zu erschöpft, um den Kampf mit der Kellnerin, den Kampf mit dem Saal aufzunehmen und nichts zu bestellen.
    Carla und Washington waren in den Negerclub gegangen, um die Zukunft zu feiern, die Zukunft, in der niemand mehr unerwünscht ist. An diesem Abend glaubten sie an die Zukunft. Sie glaubten, daß sie diese Zukunft erleben würden, die Zukunft, in der niemand, wer er auch sein mochte und wie er leben würde,

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