Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras
verdammten, ausgekniffenen Hund scheitern. Heinz mußte Zeit gewinnen. Er sagte: »Kommen Sie in dieses Haus. Ich werde Ihnen dann den Hund zeigen.« Die Kinder begegneten einander steif und mit Würde. Sie sprachen miteinander, als ob sie die Sätze aus einem Reisediktionär für vornehme Leute gelernt hätten. Heinz führte Ezra in das zerstörte Geschäftshaus. Er kletterte auf den Mauerstumpf. Ezra folgte ihm. Er wunderte sich nicht, daß Heinz ihn in eine Ruine führte. Auch Ezra wollte Zeit gewinnen. Auch er hatte noch immer keinen festen Plan. Er sorgte sich, ob Christopher rechtzeitig zum Auto kommen würde. Er mußte rechtzeitig zum Auto kommen und schnell davonfahren. Alles hing davonab, daß Christopher rechtzeitig davonfahren würde. Sie saßen auf dem Mauerstumpf und blickten in den Saal des Bräuhauses. Für eine Weile fanden sie sich ganz nett. ›Wir könnten uns eine Schleuder machen und Steine in das Fenster schießen, Steine in die Prärie, Steine auf die Büffel‹ dachte Heinz. ›Von hier draußen sehen die Riesen nicht so furchtbar aus‹, dachte Ezra. ›Es hat keinen Zweck, es länger hinauszuzögern‹ dachte Heinz. Er hatte wahnsinnige Angst. Er hätte sich lieber nicht drauf einlassen sollen. Aber da er sich nun mal drauf eingelassen hatte, mußte er es auch durchführen. Er fragte: »Haben Sie die zehn Dollar bei sich?« Ezra nickte. Er dachte ›jetzt geht es los, ich muß siegen‹. Er sagte: »Wenn ich Ihnen das Geld zeige, rufen Sie dann den Hund?« Heinz nickte. Er rückte etwas zum Rand der Mauer. Von dort konnte er leicht abspringen. Wenn er das Geld gepackt hatte, konnte er abspringen. Er konnte auf eine niedrigere Mauer springen und dann durch die Ruine zur Bäckergasse laufen. Der amerikanische Junge würde ihm nicht folgen. Er würde in der Ruine hinfallen. Er würde Zeit verlieren und ihn in der Bäckergasse nicht mehr erwischen. Ezra sagte: »Wenn Sie ihn gerufen haben, kann ich dann den Hund mit in das Bräuhaus nehmen und ihn meinem Vater zeigen?« Er dachte ›wenn ich den Hund habe, müssen wir weg, Christopher muß dann losfahren‹. Heinz sagte: »Erst müssen Sie mir die zehn Dollar geben.« Er dachte ›zeig du was du willst, dir zeig ich es schon‹. Ezra sagte: »Erst muß mein Vater den Hund sehen.« - »Sie haben das Geld garnicht«, schrie Heinz. »Ich habe das Geld, aber ich kann es Ihnen erst geben, wenn mein Vater den Hund gesehen hat.« - ›Falscher Hund‹ dachte Heinz. Der war schlau. Die Rote Schlange war schlauer, als Heinz gedacht hatte. »Sie bekommen den Hund nicht, bevor ich nicht das Geld habe.« - »Dann ist nichts zu machen«, sagte Ezra. Seine Stimme bebte. Heinz schrie wieder: »Sie haben das Geld nicht!« Er war dem Weinen nahe. »Ich habe es!« rief Ezra. Seine Stimme überschlug sich. »Dann zeigen Sie es!Zeig's doch, blöder Hund, Hund blöder, zeig's doch, wenn du's hast!« Heinz hielt die Spannung nicht länger aus. Er fiel aus dem vornehmen Konversationston und packte Ezra. Ezra stieß ihn zurück. Die Knaben rangen. Sie rangen auf der Ruinenmauer, die unter den Bewegungen ihres erbitterten Ringens, unter der Erschütterung ihrer wütenden Stöße zu bröckeln begann. Der von der Hitze des Brandes ausgedörrte Mörtel rieselte aus den Fugen zwischen den Steinen, und die Mauer stürzte mit den kämpfenden Jungen ein. Sie schrien. Sie schrien um Hilfe. Sie schrien deutsch und englisch um Hilfe. Die Polizisten auf dem Platz hörten die Schreie. Die deutschen Polizisten hörten die Schreie, und die amerikanischen Militärpolizisten hörten die Schreie. Auch die Negerpolizisten hörten die Schreie. Die Sirene des amerikanischen Polizeijeeps schrillte. Die Sirenen der deutschen Streifenwagen antworteten.
Die Schreie der Sirenen drangen in den Bräuhaussaal und entzündeten die Biergeister. Die Fama, die allmächtige Unheil webende Fama erhob aufs neue ihr Haupt und kündete ihre Mär. Die Neger hatten ein neues Verbrechen begangen. Sie hatten ein Kind in die Ruinen gelockt und es erschlagen. Die Polizei war am Tatort. Die verstümmelte Leiche des Kindes war gefunden worden. Die Volksstimme gesellte sich der Fama. Die Fama und die Volksstimme sprachen im Chor: »Wie lange wollen wir das noch mit ansehen? Wie lange wollen wir uns das noch gefallen lassen?« Vielen war der Negerclub ein Ärgernis. Vielen waren die Mädchen, die Frauen, die sich mit Negern einließen, ein Ärgernis. Die Neger in Uniform, ihr Club, ihre Mädchen, waren sie nicht
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