Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
Vom Netzwerk:
tat es nicht leid, daß Josef gestorben war, ›wir müssen alle sterben ‹. Aber sie bedauerte, daß Odysseus nicht einen anderen erschlagen hatte. Er hätte Alexander oder Messalina erschlagen sollen. Aber wen er auch erschlagen hatte: Susanne mußte zu ihm halten, ›wir müssen gegen die Schweine zusammenhalten‹ Susanne haßte die Welt, von der sie sich ausgestoßen und mißbraucht fühlte. Susanne liebte jeden, der sich gegen diese hassenswerte Welt wandte, der ein Loch in ihre kalte grausame Ordnung schlug. Susanne war treu. Sie war ein zuverlässiger Kamerad. Auf Susanne konnte man sich verlassen. Man brauchte keinen Polizisten zu fürchten.
    Heinz drückte sich gegen die Mauer mit den nackten Mädchen. Ein deutscher Polizist schlenderte am Eingang der Bar vorüber. Die deutschen und die amerikanischen Polizisten waren an diesem Abend wie aus ihrem Nest aufgeschreckte Wespen. Ein Neger hatte einen Taxichauffeur umgebracht oder einen Dienstmann. Heinz wußte es nicht genau. In derAltstadt sprach man davon. Die einen meinten, es sei ein Taxifahrer gewesen, die andern sagten ein Dienstmann. ›Ein Dienstmann hat doch kein Geld‹, dachte Heinz. Er lugte aus dem Gang und sah Washingtons horizontblaue Limousine vor dem Negerclub vorfahren. Washington und Carla stiegen aus. Sie gingen in den Club. Heinz wunderte sich. Washington und Carla waren lange nicht im Club gewesen. Carla hatte nicht mehr hingehen wollen. Sie hatte sich geweigert, mit den Nutten zusammenzukommen, die im Club verkehrten. Wenn Washington und Carla wieder in den Club gingen, mußte sich etwas ereignet haben. Heinz wußte nicht, was sich ereignet haben konnte, aber es mußte bedeutungsvoll sein. Es beunruhigte ihn. Wollte das Paar nach Amerika fahren? Sollte er mitfahren? Sollte er nicht mitfahren? Wollte er überhaupt mitfahren? Er wußte es nicht. Er wäre jetzt am liebsten nach Hause gegangen, um im Bett darüber nachzudenken, ob er nach Amerika fahren solle. Vielleicht hätte er im Bett geweint. Vielleicht hätte er auch nur Old Shatterhand gelesen und Schokolade gegessen. Konnte man Karl May trauen? Washington sagte, Indianer gebe es nur noch in Hollywood. Sollte er nach Hause gehen? Sollte er zu Bett gehen? Sollte er über all diese Probleme nachdenken? Da kam das Auto, das einem Flugzeug so ähnlich sah, auf den Platz gefahren. Der Parkwächter wies das Auto ein. Christopher und Ezra stiegen aus. Ezra guckte sich um. Er war also gekommen. Er wollte das Geschäft machen. Heinz konnte nicht mehr zurück. Er konnte nicht mehr ins Bett gehen. Es wäre feige gewesen, sich jetzt vom Geschäft zurückzuziehen. Christopher ging ins Bräuhaus. Ezra ging langsam hinter Christopher her. Er schaute sich immer wieder um. Heinz dachte ›ob ich ihm ein Zeichen gebe?‹ Aber er überlegte mein, es ist noch zu früh, sein Vater, der alte Ami, muß erst beim Bier sitzen‹.
    ›Was für ein junger Kerl er ist, was für ein junger Ami‹, dachte das Fräulein, ›es ist sein erster Abend in Deutschland, und schon habe ich ihn kennengelernte Das Fräulein war hübsch. Es hatte dunkle Locken und blanke Zähne. Das Fräulein hatte sich von Richard in der Hauptstraße ansprechen lassen. Es hatte gesehen, daß Richard Lust hatte, ein Mädchen anzusprechen, und daß er zu schüchtern war, es zu tun. Das Fräulein hatte es Richard leicht gemacht. Das Fräulein hatte sich ihm in den Weg gestellt. Richard merkte, daß sie es ihm leicht machte. Sie gefiel ihm, aber er dachte ›wenn sie nun krank ist?‹ Man hatte ihn in Amerika gewarnt. Man warnte in Amerika die ausreisenden Soldaten vor den Fräuleins. Aber er dachte ›ich will ja gar nichts von ihr, und vielleicht ist sie auch gar nicht krank‹. Sie war nicht krank. Sie war auch kein Straßenmädchen. Richard hatte Glück gehabt. Das Fräulein verkaufte im Warenhaus am Bahnhof Socken. Das Warenhaus verdiente an den Socken. Das Fräulein verdiente wenig. Es gab das Wenige zu Hause ab. Es hatte aber keine Lust, am Abend zu Hause zu sitzen und die Radiomusik zu hören, die der Vater bestimmte: Glühwürmchen-flimmere, das ewige tödlich langweilige Wunschkonzert, das zäheste Erbe des Großdeutschen Reiches. Der Vater las, während das Glühwürmchen flimmerte, die Zeitung. Er sagte: »Bei Hitler war's anders! Da war Zug drin.« Die Mutter nickte. Sie dachte an die alte ausgebrannte Wohnung; da war Zug drin gewesen; es war Zug in den Flammen gewesen. Sie dachte an die immer gehütete und dann verbrannte

Weitere Kostenlose Bücher