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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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unerwünscht wäre. Carla war musikalisch. Noch ehe sie ihn sah, hatte sie an seiner Art, den Jazz zu spielen, ihren Vater, den alten Freischützdirigenten, erkannt. Gestern wäre es Carla noch peinlich gewesen, den Musikmeister in einem Negerclub zu treffen, und fürchterlich wäre es ihr erschienen, von ihm dort mit Washington gesehen zu werden. Jetzt berührte sie die Begegnung anders. Sie waren Menschen. Menschen dachten anders. In einer Musikpause begrüßte Carla den Vater. Herr Behrend freute sich, Carla zu sehen. Er war etwas verlegen, aber er bekämpfte die Verlegenheit und machte Carla mit Vlasta bekannt. Auch Vlasta war verlegen. Sie waren alle drei verlegen. Aber sie dachten nichts Böses voneinander. »Da sitzt mein Freund«, sagte Carla. Sie deutete auf Washington. »Wir gehen nach Paris«, sagte sie. Der Musikmeister wäre auch beinahe einmal nach Paris gegangen. Er sollte im Krieg nach Paris versetzt werden. Er wurde aber nach Prag versetzt. Herr Behrend überlegte ›ob es recht von Carla ist, einen Neger zu lieben?‹ Er wagte die Frage nicht zu beantworten. Der Neger war wohl ein guter Mensch, wenn Carla mit ihm lebte. Einen Augenblick regte sich in allen das Gift des Zweifels. Sie dachten ›wir verkehren miteinander, weil wir alle deklassiert sind‹. Aber weil sie sich an diesem Abend froh fühlten, hatten sie die Kraft, den Zweifel zurückzudrängen, die hämischen Empfindungen zu töten. Sie blieben freundlich und liebten sich. Herr Behrend sagte: »Jetzt wirst du staunen. Du wirst sehen, daß dein Vater auch hot spielen kann, einen richtigen Hot Jazz.« Er ging wieder auf das Podium. Carla lächelte. Auch Vlasta lächelte. Der arme Vater. Er bildete sich ein, richtigen Jazz spielen zu können. Den richtigen Jazz konnten nur dieSchwarzen spielen. Die Kapelle des Herrn Behrend fing an, mit Blech zu rasseln und die Trommeln zu rühren. Dann setzten die Trompeten ein. Es war laut, und es war auch schön. Susanne hatte Odysseus gefunden. Er hatte sich in den Club gewagt. Er hatte sich ihretwegen aus Verstecken hervor an Polizeischlingen vorbei in den Club gewagt, Susanne hatte gewußt, daß Odysseus kommen würde; sie hatten sich mit einem Wort, einem Ruf verständigt, und er war gekommen. Susanne, die Kirke und die Sirenen und vielleicht auch Nausikaa war, hielt Odysseus umschlungen. Zur Hot-Weise des Musikmeisters glitten sie wie ein Leib im Tanz über das Parkett, wie eine vierfüßige sich windende Schlange. Sie waren beide erregt. Alles, was sie heute erlebten, hatte sie erregt. Odysseus hatte fliehen, Odysseus hatte sich verstecken müssen, man hatte ihn nicht gefangen, der große listenreiche Odysseus war den Häschern entkommen, er hatte Susanne Kirke die Sirenen betört, oder sie hatten ihn betört, und vielleicht hatte er Nausikaa erobert. Wenn das nicht erregte? Es erregte. Es erregte sie beide. Die Schlange mit den vier Beinen, die so geschmeidig sich windende Schlange wurde von allen bewundert. Nie würden sie sich aus dieser Umschlingung lösen. Die Schlange hatte vier Beine und zwei Köpfe, ein weißes und ein schwarzes Gesicht, aber nie würden die Köpfe sich gegeneinander wenden, nie die Zungen gegeneinander geifern: sie würden sich nie verraten, die Schlange war ein Wesen gegen die Welt.
    Er war nicht die Rote Schlange, er war Wildtöter. Der rothaarige Amerikaner junge war die Rote Schlange. Wildtöter beschlich die Rote Schlange. Heinz war in die Ruine eines Geschäftshauses geklettert. Vom Stumpf der gesprengten Mauer konnte er in den Saal des Bräuhauses blicken. Die Prärie wogte. Büffelherden zogen durch das Gras. Das Licht der Saallampen, an riesige Wagenräder gehängte Leuchten, verdämmerte in der Ausdünstung der Menschenund des Bieres wie in einem Nebel. Heinz konnte niemand erkennen. Wild töter mußte die blauen Berge verlassen. Er mußte sich auf Schleichwegen durch die Prärie bewegen. Er duckte sich unter Tische und Bänke. Da entdeckte er einen Feind, den er hier nicht vermutet hatte. Frau Behrend saß überraschenderweise im Bräuhaus und trank Bier. Heinz mochte die Großmutter nicht. Frau Behrend wollte Heinz in eine Erziehungsanstalt geben. Frau Behrend war eine gefährliche Frau. Was tat sie im Bräuhaus? War sie jeden Abend hier? Oder war sie nur heute hier, um Heinz aufzulauern? Ahnte sie, daß er auf dem Kriegspfad war? Heinz durfte sich nicht sehen lassen. Aber es lockte ihn, Frau Behrend einen Streich zu spielen. Es war eine Mutprobe. Er durfte sich

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