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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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Aussteuer. Sie konnte den Linnenschrank der Aussteuer nicht vergessen, aber sie wagte dem Vater nicht zu widersprechen: der Vater war Portier in der Vereinsbank, ein angesehener Mann. Das Fräulein suchte nach den Socken und nach der Glühwürmchen-Musik etwas Heiterkeit. Das Fräulein wollte leben. Es wollte sein eigenes Leben. Es wollte nicht der Eltern Leben wiederholen. Das Leben der Eltern war nicht nachahmenswert. Die Eltern waren gescheitert. Sie waren arm. Sie waren unheiter, unglücklich, vergrämt. Sie saßen vergrämt in einer grämlichen Stube bei grämlich munterer Musik.Das Fräulein wollte ein anderes Leben, eine andere Freude, wenn es sein sollte, einen anderen Schmerz. Die amerikanischen jungen waren dem Fräulein lieber als die deutschen Jungen. Die amerikanischen Jungen erinnerten das Fräulein nicht an das grämliche Zuhause. Sie erinnerten das Fräulein nicht an alles, was es bis zum Überdruß kannte: die ewige Einschränkung, das ewige Nach-der-Decke-Strecken, die Wohnungsenge, die völkischen Ressentiments, das nationale Unbehagen, das moralische Mißvergnügen. Um die amerikanischen Jungen war Luft, die Luft der weiten Welt; der Zauber der Ferne, aus der sie kamen, verschönte sie. Die amerikanischen Jungen waren freundlich, kindlich und unbeschwert. Sie waren nicht so mit Schicksal, Angst, Zweifel, Vergangenheit und Aussichtslosigkeit belastet wie die deutschen jungen. Auch wußte das Fräulein, was ein Kommis im Warenhaus verdient; es kannte die Entbehrungen, die er litt, um sich einen Anzug kaufen zu können, einen Anzug im schlechten Geschmack der Konfektion, in dem er unglücklich aussah. Das Fräulein würde einmal einen überarbeiteten, enttäuschten, schlecht angezogenen Mann heiraten. Das Fräulein wollte das heute vergessen. Es wäre gern tanzen gegangen. Aber Richard wollte ins Bräuhaus gehen. Auch das Bräuhaus war lustig. Ging man also ins Bräuhaus. Aber man spielte auch im Bräuhaus die Glühwürmchen-Musik.
    Die Säle waren überfüllt. Die Volks- und Völkergemeinschaft, die viel gerühmte, die oft besungene Gemütlichkeit des Bräuhauses tobte. Aus großen Fässern strömte und schäumte das Bier; es strömte und schäumte in ununterbrochenem Fluß; die Zapf er drehten die Spünde nicht ab; sie hielten die Maßkrüge unter den Strom, rissen sie vom Bier zurück, schnitten sie ab vom Naß und hielten schon den nächsten Krug unter den Fluß. Kein Tropfen ging verloren. Die Kellnerinnen schleppten acht, zehn, ein Dutzend Krüge zu den Tischen. Das Fest des Gottes Gambrinuswurde gefeiert. Man stieß an, man trank aus, man legte den Krug auf den Tisch, man wartete auf die zweite Füllung. Die Oberländerkapelle spielte. Es waren alte Herren in kurzen Lederhosen, die haarige gerötete Knie zeigten. Die Kapelle spielte das Glühwürmchen, sie spielte Sah-ein-Knab-ein-Röslein-stehn, und alle im Saal sangen das Lied mit, sie faßten sich unter, sie standen auf, sie stellten sich auf die Bierbänke, sie hoben die Krüge und brüllten langgezogen gefühlsbetont Röslein-auf-der-Hei-hei-den. Man setzte sich wieder. Man trank wieder. Väter tranken, Mütter tranken, kleine Kinder tranken; Greise umstanden den Waschbottich und suchten nach Bierneigen in den abgestellten Krügen, die sie durstig gierig hinunterspülten. Man sprach von der Ermordung des Taxifahrers. Ein schwarzer Soldat hatte einen Taxifahrer ermordet. Es war Josefs Tod, von dem gesprochen wurde; aber die Fama hatte aus dem Dienstmann einen Taxifahrer gemacht. Ein Dienstmann schien der Fama ein zu armes Opfer für einen Mord zu sein. Die Stimmung war den Amerikanern nicht günstig. Man schimpfte, man raunzte; man hatte zu klagen. Bier hebt in Deutschland das nationale Bewußtsein. In andern Ländern regt Wein, in manchen vielleicht Whisky den Nationalstolz an. In Deutschland ist das Bier der die Vaterlandsliebe belebende Stoff: ein dumpfer, ein nicht erhellender Rausch. Den einzelnen Angehörigen der Besatzung, die sich in den Hexenkessel des Bräuhauses verirrt hatten, begegnete man nachbarlich freundlich. Viele Amerikaner liebten das Bräuhaus. Sie fanden es großartig und gemütlich. Sie fanden es noch großartiger und noch gemütlicher als alles, was sie darüber gelesen oder gehört hatten. Die Oberländer-Kapelle spielte den Badenweiler Marsch, den Lieblingsmarsch des toten Führers. Man brauchte der Kapelle nur eine Lage zu spendieren, und sie spielte den Marsch, der den Einzug Hitlers in die Versammlungssäle der

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