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Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras

Titel: Tauben im Gras - Koeppen, W: Tauben im Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Koeppen
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verworfen an der schmutzigen Mauer. Die Mädchen lächelten und hielten mit neckischer Gebärde kleine Schleier vor ihre Scham. Ami huren - ein Entrüsteter hatte es hingeschrieben. Die Mädchen lächelten, sie blieben neckisch, sie hielten sich neckisch die kleinen Schleier vor. Ein Nationalist hatte Deutschland-erwache an die Wand gemalt. Die Mädchen lächelten. Heinz pißte gegen die Mauer. Susanne ging am dunklen Eingang der Bar vorüber. Sie dachte ›die Schweine pissen überall hin‹. Susanne ging zum Club der Negersoldaten. Die schwarzen Militärpolizisten prüften Susannens Ausweis. Sie hielten den Ausweis in ihren blendend weiß behandschuhten Händen. Der Ausweis war in Ordnung. Ein Sirenenwagen der weißen Militärpolizei fuhr beim Club vor. Die weißen Militärpolizisten riefen ihren schwarzen Kameraden eine Botschaft zu. Die weißen Polizisten sahen nicht so elegant aus wie die schwarzen. Sie sahen gegen die schwarzen Polizisten schäbig aus. Susanne verschwand in der Tür des Clubs. Einer der weißen Polizisten dachte ›diese Nigger haben die hübschesten Mädchen‹.
    Im Club spielte eine deutsche Kapelle. Der Club war arm. Eine amerikanische Kapelle war zu teuer gewesen. Nun spielte eine deutsche Kapelle, und die deutsche Kapelle war auch ganz gut. Es war die Kapelle des Obermusikmeisters Behrend. Die Kapelle spielte alle Jazz-Stücke, und zuweilen spielte sie den Hohenfriedberger Marsch oder den spanischenWalzer von Waldteufel. Der Marsch gefiel den schwarzen Soldaten sehr. Waldteufel gefiel ihnen weniger. Kapellmeister Behrend war zufrieden. Er spielte gern in den Clubhäusern der amerikanischen Armee. Er fand, daß er gut bezahlt wurde. Er war glücklich. Vlasta machte ihn glücklich. Er blickte zu Vlasta hinüber, die an einem kleinen Tisch neben der Kapelle saß. Vlasta war über eine Näharbeit gebeugt. Zuweilen schaute sie auf, und Vlasta und Herr Behrend lächelten einander zu. Sie hatten ein Geheimnis: sie hatten sich gegen die Welt gestellt und sich behauptet; sie hatten sich jeder gegen die eigene Umwelt und ihre Anschauungen gestellt, und sie hatten den Kreis des Vorurteils, der sie einengen wollte, gesprengt. Der Obermusikmeister der deutschen Wehrmacht hatte das kleine Tschechenmädchen im Protektorat Böhmen und Mähren kennengelernt und geliebt. Mit Mädchen schliefen viele. Aber sie verachteten die Mädchen, mit denen sie schliefen. Nur wenige liebten das Mädchen, mit dem sie schliefen. Der Obermusikmeister liebte Vlasta. Er hatte sich erst gegen die Liebe gewehrt. Er hatte gedacht ›was will ich mit dem Tschechenmädel?‹ Aber dann hatte er sie geliebt, und die Liebe hatte ihn verwandelt. Sie hatte nicht nur ihn verwandelt, sie hatte auch das Mädchen verwandelt, auch das Mädchen war eine andere geworden. Als man in Prag die deutsche Wehrmacht wie freigegebenes Wild jagte, versteckte Vlasta Herrn Behrend in der Truhe, und später floh sie mit ihm aus der Tschechoslowakei. Vlasta hatte sich von allem losgesagt; sie hatte sich von ihrem Vaterland losgesagt; und Herr Behrend hatte sich von vielem losgesagt; er hatte sich von seinem ganzen bisherigen Leben losgesagt: sie fühlten sich beide losgelöst, sie waren frei, sie waren glücklich. Sie hätten es vorher nicht für möglich gehalten, daß man so frei und so glücklich sein könne. Die Kapelle spielte Dixieland. Unter der Stabführung des Musikmeisters spielte sie eine der ersten Jazz-Kompositionen, deutsch und romantisch in der Weise des Freischütz.
    Susanne fand die Kapelle langweilig. Die blassen Idioten schlugen ein zu gemächliches Tempo an. Die Kapelle entsprach nicht dem, was Susanne schräge Musik nannte. Sie wollte Wirbel, sie wollte Rausch; sie wollte sich dem Wirbel und dem Rausch hingeben. Es war dumm, daß alle Neger sich ähnlich sahen. Wer kannte sich da aus? Nachher ging man mit dem Falschen mit. Susanne hatte ein Kleid aus gestreifter Seide an. Sie trug das Kleid wie ein Hemd auf der bloßen Haut. Sie hätte jeden haben können, jeder im Saal wäre mit ihr fortgegangen. Susanne suchte Odysseus. Sie hatte ihm Geld gestohlen, aber da sie Kirke und die Sirenen und vielleicht auch Nausikaa war, mußte sie wieder zu ihm gehen und konnte ihn nicht in Ruhe lassen. Sie hatte ihm sein Geld gestohlen, aber sie würde ihn nicht verraten. Nie würde sie ihn verraten; sie würde nie verraten, daß er Josef erschlagen hatte. Sie wußte nicht, ob Odysseus Josef mit dem Stein erschlagen hatte, aber sie glaubte es. Susanne

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