Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko
reine Einbildung, aber für mich war der Unterschied frappierend. Wir waren nur fünfzig Meter gelaufen, aber es hätten auch fünfzig Kilometer sein können. Ich wollte sofort wieder zurück auf amerikanischen Boden.
Als wir die Stufen erklommen, kamen Mexicalis Häuser langsam in mein Blickfeld. Unbehelligt von Bauordnungen und gesundem Menschenverstand, war die Architektur ein Mischmasch aus Beton, Maschendraht und Wellblech. Überall hatte man grob Putz draufgeklatscht. Die immer wieder behelfsmäßig reparierten Dächer erhoben
sich in den merkwürdigsten Winkeln über die Häuser. Nichts sah neu aus. Jede Oberfläche wirkte alt und verwittert. Ein Wirrwarr von Kabeln erzeugte am Himmel ein unregelmäßiges Raster.
Sobald Bobby und ich die Straße erreichten, wurden wir von einem halben Dutzend Chicle -Kindern belagert. Schmutzige Gesichter und traurige Augen. Bobby griff in seine Tasche und warf achtlos eine Handvoll Kleingeld gegen die nächste Mauer. Die Kinder stürzten sich auf die Münzen. Ihre kleinen Hände griffen zuerst nach den Silbermünzen, dann nach dem Kupfer.
»Ich kann die Gesichter dieser Kinder einfach nicht ertragen. Und vorgekautes Kaugummi verkaufen die auch schon lange nicht mehr«, sagte Bobby mehr oder weniger zu sich selbst.
Auf dem schmalen Bürgersteig der Avenida Madero drängten wir uns durch die Menschenmassen und an Verkaufsständen vorbei. Kleidung, Schuhe, Kerzen, CDs, DVDs, Hüte, Essen, Postkarten, Zeitschriften, Bücher, Rosenkränze, Pornos … Man konnte absolut alles auf der Straße kaufen.
Nicht nur einmal fühlte ich eine Hand an meiner Gesäßtasche. Entweder wollten etliche Mexikaner mich betatschen oder es gab eine Menge enttäuschter Taschendiebe.
Aus Versehen sah ich einem Jungen in die Augen, der an einer Mauer lehnte. Mit starkem Akzent und ohne viel Worte pries er seine Waren an: »Mädchen? Kokain?« Ich lief weiter.
Bobby hatte recht. Die Bar war nicht weit, aber geschlossen. Wir standen vor einer Doppeltür mit einer dicken Kette um die Griffe. Auf der Mauer neben der Tür stand der Name der Bar, in ausladenden, roten Lettern auf grünen Grund gemalt: »Cachanilla’s«. Darunter stand in Blockschrift »Bar und Mädchen – Show«.
»Ach, Scheiße«, sagte Bobby und schaute auf seine Uhr. »Wahrscheinlich machen die erst um zehn auf. Wir haben noch fast zwei Stunden totzuschlagen.«
»Wir könnten ein andermal wiederkommen«, sagte ich und bemühte mich, nicht allzu ängstlich zu klingen.
»Immer mit der Ruhe, Jimmy. Du musst dich erst eingewöhnen. Wir suchen keinen Ärger, und deshalb kriegen wir auch keinen.«
»Das wäre aber eine Premiere.«
»Es gibt für alles ein erstes Mal«, sagte Bobby lächelnd.
»Es ist so lange her. Als wir jünger waren …«
Bobby unterbrach mich: »Ja, ja, ja, du brauchst einfach was zu trinken. Vielleicht stellst du dich dann nicht mehr an wie eine Tussi.«
»Ich weiß nicht, ob ich hier noch hinpasse«, sagte ich, aber Bobby hörte mich nicht. Er war schon weitergegangen. Ich beeilte mich, um ihn einzuholen. Was zu trinken konnte nicht schaden.
Bobby öffnete eine Tür, die mir gar nicht aufgefallen war. Was aussah wie eine mit Plakaten bedeckte Mauer, war in Wirklichkeit eine Tür mit einem kleinen Abierto -Schild, das ich, obwohl direkt vor mir, übersehen hatte. Darunter hatte jemand gekritzelt: » Se prohíbe la entrada a mujeres, uniformados e integrantes de las fuerzas armadas .« Grob übersetzt: »Keine Frauen, Soldaten oder andere Uniformträger.« Ich folgte Bobby in die Dunkelheit der Bar.
Der dunkle Gang führte zu einem ebenso dunklen Raum, der nur von Neon-Bierreklamen und Weihnachtsbeleuchtung an Decke, Wänden und einem Teil der Theke erhellt wurde. In einer Ecke spielte ein alter Mann leise Gitarre. Nur gut, dass er nicht aufhörte zu spielen, als wir reinkamen. Es gab ein Dutzend Gäste, alle bis auf zwei über sechzig. Diese beiden saßen in der hintersten Ecke und trugen mexikanische Cowboy-Klamotten: Hüte, Jeans, strassbesetzte Cowboyhemden und dazu passende Stiefel. Der eine trug rote Stiefel, der andere grüne. Beide sahen mich böse an oder zumindest bildete ich mir das ein. Entweder Bobby bemerkte sie nicht, was ich nicht glaube, oder er zog es vor, sie zu ignorieren. Ich spürte, wie ein kalter Tropfen aus meiner Achselhöhle meine Rippen hinunterlief. Ich hätte es auf die Hitze schieben können. Es war ziemlich drückend in dem dunklen Raum. Aber ich wusste, das war nicht der
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