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Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko

Titel: Taubenjagd: Jimmy Veeders Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shaw Johnny
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aber keine Grabsteine zu geben. Stattdessen war jedes Grab nur mit einem einzelnen roten Ziegelstein markiert. Ich bückte mich, um einen Ziegel aufzuheben. Darauf stand: »Doe M-9-28-08-004.« Ich legte ihn genau an die Stelle zurück, wo sich sein Abdruck befand. Es gab hunderte Ziegel und genug Platz für noch ein paar hundert.
    »Cementerio de pobres« , sagte eine Stimme hinter mir. »Der Armenfriedhof.«
    Ich drehte mich um und war überrascht, einen Uniformierten mit Gewehr in der Hand zu sehen. »Hier werden die begraben, deren Namen niemand kennt. Größtenteils nicht identifizierte Illegale. Irgendwo müssen die ja hin.« Bei näherem Blick auf seine Uniform sah ich, dass er dem Sheriff’s Department angehörte. Strafvollzug.
    »Wie viele liegen hier?«, fragte ich.
    »Drei- oder vierhundert, schätze ich. Vielleicht mehr. Kommt mir vor, als würden wir ständig Löcher graben.«
    Hinter ihm verteilten sich ein Dutzend Frauen in grell-orangen Gefängnisuniformen über die Anlage. Vier trugen abgenutzte
Spitzhacken, während die anderen Schaufeln geschultert hatten. Zwei weitere Wärter folgten, die Gewehre lässig nach unten gerichtet, und lachten über irgendeinen Witz.
    »Die Gräber werden von weiblichen Häftlingen ausgehoben?«, fragte ich.
    »Die meisten Toten werden vom Grenzschutz gefunden, aber die County ist dafür verantwortlich, sie unter die Erde zu bringen. Das ist den Bundesbehörden scheißegal. Die County hat dafür aber kein Geld. Wir arbeiten mit den Mitteln, die wir haben. Wir haben jede Menge Häftlinge. Männer und Frauen. Die Ladys freuen sich über die körperliche Betätigung. Das hält sie fit.«
    Der Wärter ging zu den anderen rüber und brüllte seinen gefangenen Arbeitskräften Befehle zu. Die Frauen mit den Spitzhacken machten sich an die Arbeit, konnten aber mit ihren Hieben auf dem verhärteten Boden kaum etwas ausrichten. Das war wirklich ein erstklassiges Fitnesstraining.
    Ich ging den Weg zurück und drehte mich noch einmal um, um das Areal mit den unzähligen Reihen von Ziegelsteinen zu betrachten. Die Ziegel schienen nicht nur die namenlosen Toten zu repräsentieren, sondern auch die offenen Fragen der Hinterbliebenen. Angehörige, die nie erfahren würden, was passiert war. Sie würden nie herausbekommen, was dem Menschen, der ihnen so nahestand, zugestoßen war. Hier würde Yolanda enden, wenn niemand herausfand, wer sie war. Die Leiche einer Unbekannten in einem anonymen Grab. Ein Ziegelstein mit einer Nummer.
    Der Bobcat hatte seine Arbeit beendet. Vorerst markierte nur der niedrige Hügel frisch aufgeworfener Erde Pops Grab. Bei der Armee hatte man mir gesagt, es würde vier bis sechs Wochen dauern, bis sein Grabstein kam. Ich hatte gesagt, sie könnten sich ruhig Zeit lassen.
    Ich lief zurück zur Straße, die Anhöhe hinauf und am Schießstand vorbei. Es war ruhig dort, denn alle waren unterwegs, um auf echte Vögel zu schießen anstatt auf Zielscheiben und Tontauben.
    Just als mir einfiel, dass ich gar nicht wusste, wie ich nach Hause kommen sollte, tat sich vor mir ein wundervoller Anblick auf. Angie
saß auf der Motorhaube ihres F-150, die Zehen ausgestreckt, um die Stoßstange zu erreichen. Sie lächelte, als sie mich sah.
    »Bobby hat mich angerufen.« Sie glitt von der Motorhaube.
    »Warum hat er das wohl getan?«
    »Weil du nicht angerufen hättest«, sagte sie. »Er hat gesagt, du brauchst jemanden, der dich abholt.«
    »Ich brauche noch viel mehr.«
    »Alles in Ordnung mit dir? Ich meine die Sache mit deinem Vater, die Beerdigung und so. Das ist sicher eine seelische Belastung.«
    »Ich glaube schon. Ich bin verkatert und mir dreht sich alles. Deshalb versuche ich im Moment nur, den Tag so schmerzfrei wie möglich zu überstehen.«
    Wir rasten in Angies altem Pick-up den Old Highway entlang und waren auf halbem Weg nach El Centro.
    »Sollen wir darüber reden, was gestern Abend passiert ist?«, fragte Angie plötzlich.
    »Wenn du willst«, antwortete ich. »Aber ich weiß nicht mehr viel. Bobby und ich haben die Leiche gefunden. Der Sheriff …«
    »Die Leiche?«, unterbrach mich Angie. »Was für eine Leiche? Wovon redest du?«
    »Wovon ich rede? Wovon redest du denn? Moment …«
    »Ihr habt eine Leiche gefunden? Du meinst wirklich einen Toten?« Sie flüsterte das letzte Wort. Da sie abgelenkt war und mich anstarrte, anstatt sich auf die Straße zu konzentrieren, schlenkerte der Wagen auf den Randstreifen und wirbelte eine Riesenstaubwolke auf.

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