Tausche Brautschuh gegen Flossen
Ich weise auf die Person, die mich geküsst hat und immer noch in
meiner Nähe herumlungert. »Diese da, zum Beispiel. Schau mal, sie guckt, als warte
sie nur darauf, von dir auf die Theke eingeladen zu werden.«
»Das ist doch eine Lesbe«, erklärt
er mir, als sei ich von einem anderen Stern. »Was soll ich denn mit so einer?«
Ich zucke die Schultern, nehme Nina
bei der Hand und ziehe sie mit mir. Sie wert sich halbherzig.
»Der war doch echt niedlich«, nuschelt
sie, als wir ins Freie stolpern.
»Bastian ist auch echt niedlich.«
Sie zieht die Stirn kraus und mustert
mich aus zusammengekniffenen Augen. »Früher bist du ein glaubhaftes Gewissen gewesen.«.
Zu Hause angekommen springe ich unter die Dusche, um den klebrigen
Martini abzuwaschen, und setze ich mich danach an den PC.
Christoph ist noch online und wir
schreiben. Nicht mehr ganz nüchtern, doch ebenso wenig betrunken erzähle ich ihm
von meinem Abend. Meine Schilderungen amüsieren ihn, und er zieht mich damit auf.
Ich lasse es über mich ergehen, betrachte die Stunden im ›Tiggers‹ inzwischen sogar
mit Humor und muss oft lachen. Vielleicht sacken sie in meine Träume und morgen
früh erwache ich mit einer grandiosen Idee für ein völlig bekloppt-geniales Bild
in Pink und Lila.
›Ich möchte deine Stimme hören‹,
schreibt Christoph dann.
Ein wohliges Gefühl prickelt über
meine Haut. Es ist ein weiterer Schritt in die falsche Richtung und dennoch genau
das, was ich in diesem Moment ebenfalls will. Ich will es mehr als Schlaf, mehr
als einen guten Job, sogar mehr als Lukas neben mir im Bett.
Das Klingeln des Telefons beschert
mir Sekunden absoluter Konfusion, denn es macht die ganze Sache ein weiteres bisschen
realer. Es gibt ihn wirklich, den Mann namens Christoph. Er besteht nicht nur aus
Buchstaben auf dem Monitor. Wenn ich abnehme, wird er etwas sagen mit einer Stimme,
von der ich ahne, wie sie klingt und was sie bei mir auslösen wird.
Ich nehme ab und melde mich.
Meine Ahnung wird übertroffen. Christophs
Stimme ist der Wahnsinn. Sie ist warm und klar und absolut gelassen. Sollte er so
nervös sein, wie ich es bin, lässt er sich das mit keinem seiner Sätze anmerken.
Ein wenig von dem Dialekt, der ihn als gebürtigen Schwaben enttarnt, hängt seiner
Sprache noch an. Christoph bedauert, dass er ihn nie ganz los wird, und lacht nur,
als ich frage, warum er das denn möchte. Ohnehin ist dieser nur noch minimal und
klingt nett in meinen Ohren, liebeswürdig irgendwie, wie ein süßes Detail.
Von weniger brisanten Themen – Tauchgänge,
Filme, Musik, Ausflüge auf Teneriffa – kommen wir auf uns zu sprechen. Christoph
gibt zu, gäbe es einen Schalter, mit dem er abstellen könnte, was er für mich empfindet,
würde er ihn sofort umlegen. Mit Bedauern zwar, denn er würde nicht vergessen wollen,
wie sich die Sehnsucht nach mir anfühlt, doch er würde es trotzdem tun. Nur gibt
es keinen solchen Schalter.
Er versteht, dass ich nicht aus
Deutschland fort kann, auch nicht für ein paar Tage, und er bittet mich nicht, zu
ihm zu kommen. Dafür dass ich bei Lukas bleibe, sagt er weiter, mag er mich nur
noch mehr.
Als wir auflegen, sind fünf Stunden
vergangen. Die Flasche Wein zu meiner Linken ist leer, der Aschenbecher zu meiner
Rechten quillt über. Mein Ohr glüht. Ich lüfte das Zimmer, gehe schlafen und träume
nur Mist.
Meine Appetitlosigkeit wird ein immer größeres Problem, denn mittlerweile
bringe ich schon fünf Kilo weniger auf die Waage.
Gestern war ich für ein paar Stunden
bei meinen Eltern. Sie haben mich gefragt, ob es mir gut geht, und sich besorgt
darüber geäußert, wie ungesund ich aussehe. Mein Vater hat mich beschworen, endlich
zu kündigen und mir übergangsweise eine Stelle in seinem Architekturbüro angeboten.
Innere Kämpfe ausfechtend, habe ich mir verwehrt, ihnen die Wahrheit zu sagen –
so gern ich es getan hätte. Zu gern hätte ich meinen Kopf an Mamas Schulter gelegt
und losgeheult. Doch weder ihr noch meinem Vater kann ich anvertrauen, was mich
beschäftigt. Ich kann ihnen nicht einmal richtig in die Augen blicken, aus Furcht,
sie würden es darin lesen.
Dennoch muss mein Verhalten Bände
gesprochen und meine Eltern so sehr alarmiert haben, dass sie sich nicht anders
zu helfen wussten, als Karsten davon zu erzählen.
Als mein Bruder bei mir zu Hause
auftaucht, sitze ich heulend in der Küche und klammere mich an einer Zigarette fest.
Er redet so lange auf mich ein, bis ich mit der
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