Tausche Brautschuh gegen Flossen
Sprache herausrücke. Im Stillen
schelte ich mich eine Idiotin, denn seit Karsten Italiener wurde, ist er über die
Maßen eifersüchtig – nicht nur in Bezug auf Theresa. Sollten meine Eltern auf einer
Party mehrmals mit einem anderen als ihrem Ehepartner tanzen, wird er sauer. Und
seit Lukas beim Kaffeetrinken mit seiner Schulfreundin gesehen wurde, steht er sowieso
unter Beobachtung.
Karsten ist so ziemlich die letzte
Person auf Erden, von der ich mir jetzt Verständnis erwarte.
Er überrascht mich. Er rastet nicht
aus. Weder flucht er noch droht er mir. Er hört nur zu, nimmt mich am Ende in den
Arm und sagt, dass er es für klüger hält, wenn ich hierbleibe, aber dass er sich,
falls ich fliege, um Lukas kümmert.
Mein Gott, das hört sich so endgültig
an! Als säße ich mit einer Arschbacke schon im Flugzeug.
Am Tag vor Lukas’ Heimkehr schwinge ich mich auf mein Rad und fahre
zum Stadtwald. Wie immer bringt mich die letzte Steigung vorm Wald an meine Grenzen,
doch ich will nicht langsamer werden und bald spüre ich das Ziehen in meinen Oberschenkeln
gar nicht mehr.
Im Wald angelangt
presche ich im immer noch gleichen Affenzahn zwischen kahlen Bäumen hindurch, vorbei
an Denkmälern und Vesperhütten. An den Ruinen der Rüstungsfabrik, die 1947 von der
Roten Armee gesprengt wurde, überkommt mich ein leichtes Grauen, doch lieber grusele
ich mich, als durchzuhängen. Immer tiefer in den Wald geht es, weiter Richtung Westen.
Wie so oft sind Pearl Jam meine akustischen Begleiter, habe ich mir diesmal auch
keines der jüngeren, ruhigeren Alben ausgesucht, sondern ›Vitalogy‹, das aggressivste
und seltsamste Machwerk der Band. ›Spin the Black Circle‹, ›Whipping‹ und ›Satan’s
Bed‹ harmonieren hervorragend mit meiner Stimmung. Die Lieder sind laut und wütend.
Am Funkturm wende ich und schaffe es nicht, rechtzeitig zum nächsten Titel zu wechseln,
sodass ›Better Man‹anläuft. Habe ich den Anfang gehört, muss ich das Lied
hören. Heute ist es ein Fehler, denn es ist einfach zu leise und wehmütig. Die Anstrengung
des Radfahrens in Kombination mit den harten Riffs und wummernden Drums hatten mich
gerade gleichgültig gemacht, indifferent gegenüber unerwünschten Gefühlen. Mein
Verstand war aus seinem Dornröschenschlaf erwacht, mein Blick hatte sich geklärt
und die Realität herangezoomt.
Während ich nun bergab rolle, mit
›Better Man‹ im Gehörgang, kehrt zurück, was ich verdrängt zu haben meinte, um Lukas
einigermaßen gefasst gegenübertreten zu können.
Wenngleich ich lächele und vorgebe, dass alles in Ordnung ist, sieht
Lukas mich nur an und weiß sofort, was los ist.
Wie erwartet lacht er diesmal nicht.
Eine Stunde später sitzen wir beide
heulend auf dem Küchenfußboden. Ich fühle mich wie der letzte Arsch und heule bald
nur noch, weil er es tut.
Als er mich wissen lässt, was in
seiner Kompanie los ist, möchte ich zu ihm hinüberkriechen und ihn in den Arm nehmen,
doch die Schwingungen, die er aussendet, sagen mir, dass das gerade keine gute Idee
ist. Ein Soldat wurde in der Zwangsjacke abgeführt, erzählt Lukas, weil er sich
für Satan hielt. Ein anderer pirschte wochenlang in voller Montur über den Rennsteig.
Geschichten wie diese wollte Lukas
mir ersparen und selbst nicht weiter darüber nachgrübeln. Er hat sich gefreut, nach
Hause zu kommen und mit mir eine Woche Urlaub zu verbringen.
Lukas stellt mir die Frage, ob ich
wirklich wegwerfen will, was wir uns in den Jahren geschaffen haben. Er war immer
davon ausgegangen, dass wir ein gutes Leben haben, eine funktionierende Beziehung,
einen tollen Freundeskreis und keinen wirklichen Anlass zur Sorge. Bevor ich antworten
kann, springt er auf, murmelte etwas von rausmüssen, wirft die Tür hinter sich ins
Schloss und ist verschwunden.
Kurz vor Mitternacht halte ich es
nicht länger aus und rufe ihn an. Er geht sogar ans Telefon. Ich bitte ihn, nach
Hause zu kommen. Er verspricht es, doch seine Stimme klingt hart und kalt, so gar
nicht nach ihm selbst.
»Was willst du überhaupt noch von
mir?«, fragt er, kaum dass er zurück ist.
Es macht mir Angst, ihn in dieser
Verfassung zu erleben. Dennoch versuche ich ihm zu erklären, dass ich ihn keineswegs
nicht mehr liebe. Ich liebe ihn und werde ihn immer lieben, aber gegen das, was
Christoph in mir auslöst, bin ich machtlos – ich bin nicht fähig, es mir zu verbieten.
Niemand kann das.
Lukas sagt nichts mehr. Er mustert
mich von oben herab, wendet sich
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