Tausche Brautschuh gegen Flossen
Bett,
könnte ich nicht einschlafen, also versuche ich es erst gar nicht, sondern beobachte
das Geschehen an der Promenade von Playa de las Américas. Ich sehe ein Restaurant
am anderen, unzählige kleine Bars und luftig gekleidete, angeheiterte Menschen.
Am Strand steigen Partys. Die Sommerhits des vergangenen Jahres dudeln aus allen
Ecken. Vor mir liegt der nachtschwarze Atlantik. Boote fahren hinaus oder kommen
an Land.
Als die Morgendämmerung einsetzt,
verirre ich mich ins Bett. Viel Schlaf bekomme ich nicht, denn Nina ist früh munter,
wieder nüchtern und genauso heiter wie am Vortag.
Erst geht es zum Frühstück, danach
zum Strand. Dort ist es wie überall. Liegen über Liegen, Sonnenschirme über Sonnenschirme,
ein Sonnencremeduft am anderen, Menschen über Menschen, dicht aneinander gereiht,
Massentourismus praktizierend.
Wir mieten zwei Liegen und einen
Sonnenschirm. Ich nehme das mitgebrachte Buch zur Hand und beginne zu lesen, doch
solange Nina neben mir liegt, komme ich kaum eine Seite voran, weil sie mich ständig
auffordert, irgendwelche Bikinis oder Kopfbedeckungen zu begutachten. Selbst das
Lästern wird ihr binnen kurzer Zeit zu langweilig, von Stillsitzen oder -liegen
und Sonnen ganz zu schweigen.
In der Nähe ist ein Volleyballfeld,
auf dem eingeölte Muskelpakete glänzen, die nach dem Ball hechten. Keine Frage,
dass Nina dort hin muss. Eine Weile schaue ich zu, wie sie mithechtet. Bald klebt
eine erste Hand an ihrem Hintern, ein Arm legt sich um ihre Schultern. Bei jedem
erzielten Punkt fallen ihr die Kerle um den Hals, als seien sie zehn Jahre zusammen
in die Schule gegangen.
Alles nichts Neues, alles typisch
Nina, sage ich mir und lese 57 Seiten.
Nach einer Stunde kommt meine Freundin
zurück und hat den Oberhechter im Schlepptau. Er sieht wie ein Supermacho aus: Künstliche
Bräune, knappe Shorts, muskulöse Tentakel, kleiner Kirscharsch, zurückgegelte schwarze
Haare.
Er denkt nicht daran, zu den anderen
Hechtern zurückzukehren, liegt die ganze Zeit bei uns und labert. Von wegen, wir
würden sooo gut aussehen und er wüsste gaaar nicht, in wen von uns beiden er sich
verlieben soll. Zum einen finde ich es erstaunlich, dass diese Masche offenbar noch
immer zieht – bei anderen Frauen zumindest. Zum anderen empfinde ich es als Beleidigung,
dass er uns für so blöd hält.
Beinahe sage ich ihm, was ich denke:
Eigentlich ist er doch nur unschlüssig, wen von uns beiden er zuerst poppen möchte,
gleich nach den 100 anderen Frauen, die er heute Abend flachzulegen gedenkt, aber
das lasse ich lieber. Nina wird sonst sauer.
Als ich es nicht länger ertrage,
verabschiede ich mich ins Hotel. Am Pool lichten sich die Massen, denn in zwei Stunden
gibt es Abendessen. Ich finde eine Liege in vorderster Reihe und lese weiter. Bald
bin ich allein am Pool, lege das Buch beiseite und lasse den extra für den Trip
zusammengestellten Mix über Kopfhörer auf mich einrieseln. Es rockt nicht und kracht
nicht, es gibt keine E-Gitarren, keine Drums, keine reibeisigen Männerstimmen. Es
ist nicht meine Musik. Es groovt und dröhnt nicht, es gibt keine 21 Beats pro Minute
und keine Handclaps. Also ist es auch nicht Lukas’ Musik. Die 17 Songs sind alle
ruhig, und jeder einzelne ist irgendwann während unserer gemeinsamen Jahre zu einem
von einer Melodie unterlegten Moment geworden. Einem Moment, der nur uns gehört
und an den wir für immer denken werden, wenn wir dem zugehörigen Lied lauschen.
Ich höre völlig verschiedene Songs, die weder mit unserem jeweiligen Musikgeschmack
noch mit einander Ähnlichkeit haben. Ich höre Sade und die Söhne Mannheims, Billy
Joel und Thomas D, Norah Jones und Blue.
Wo bist du jetzt, Lukas?, überlege
ich und stelle mir vor, wie er in einem Land Rover durch die Wüste heizt. Wo wirst
schlafen, Lukas? Und wirst du an mich denken, wenn du morgen früh aufwachst? Denkst
du jetzt an mich, so wie ich an dich, und vermisst du mich, so wie ich dich vermisse?
Ein Angestellter des Hotels kommt,
um die Liegen zu ordentlichen Reihen zu schieben und den Pool zu chloren. Drei Lieder
lang ist er damit beschäftigt. Ich sehe ihm zu, ohne ihm zuzusehen. Zwei Familien
mit Kindern gehen vorüber. Alle sind für den Abend herausgeputzt, die Kids scheinen
zu singen und hüpfen in irgendeinem Takt, der nicht zur meinem aktuellen Lied passt.
Als sie fort sind, versinkt mein Blick im klaren, blauen Wasser, das jetzt ganz
ruhig liegt. Palmen und der schon besternte Abendhimmel spiegeln sich
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