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Tausche Brautschuh gegen Flossen

Tausche Brautschuh gegen Flossen

Titel: Tausche Brautschuh gegen Flossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Kobjolke
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darin.
    Mit den ersten Klängen von Lied
Nummer zehn kullern meine Tränen. Ich heule nicht, ich schluchze nicht und brauche
kein Taschentuch. Ich mache das ganz lautlos mit mir selbst ab, lasse die Tränen
laufen, die Wangen und den Hals hinunter. Sie versickern im Bikinioberteil, während
The Gentle Giant ›Somewhere over the Rainbow‹ singt und dazu die Ukulele spielt.
    Lied Nummer zehn sind drei Wochen
Maui nach sieben Monaten Afghanistan. Lied Nummer zehn ist die Terrasse unseres
Bungalows, auf der wir tanzen, während der Wind den Song von der Strandbar herüberträgt.
Lied Nummer zehn ist die Frage ›Willst du mich heiraten?‹ und das dazugehörige Ja.
    Den Tränen zum Trotz muss ich lächeln,
weil mir die Reaktion meiner Eltern einfällt, als Lukas und ich ihnen nach unserer
Heimkehr davon erzählten. Mein Vater war beleidigt, weil Lukas nicht die Höflichkeit
besessen hatte, ihn um Erlaubnis zu bitten. Ohnehin zweifelten sie an seinem Anstand,
an seiner Bildung – schließlich war er bloß Zeitsoldat. Außerdem hat man es uns
verübelt, dass wir unsere Verlobung so still und leise und ohne die Familie haben
stattfinden lassen. Wenn nicht eine Verlobung ein Grund zum Feiern ist, was denn
dann?
    Inzwischen haben sie sich nicht
nur mit meiner Wahl abgefunden, sondern Lukas sogar in ihr Herz geschlossen. Es
liegt in seiner Natur. Jeder, der ihn kennenlernt, verfällt ihm früher oder später
– und bei Gott, ich hoffe, dies passiert keiner afrikanischen Wüstenmaus!
    Ich blinzele, als das Poolwasser
eine Welle schlägt. Nach einem zweiten Blinzeln sehe ich einen Aschenbecher auf
den Grund sinken. Verwundert hebe ich den Kopf, suche die Balkons des Hotels ab
und entdecke, wie beinahe vermutet, Nina auf unserem. Sie scheint schon ausgehfertig
angezogen und hebt die in die Hüften gestemmten Hände, um zuerst auf ihre Uhr und
mir dann einen Vogel zu zeigen.
     
    Das Abendessen, mit Hummer als Spezialität, gestaltet sich unterhaltsam.
Die anderen Gäste sind eine Wucht und besser als jedes Theater. Sobald eine neue
Ladung der Krebstiere zum Büfett gebracht wird, spurten sie los, bereit Beleidigungen
auszuspucken oder der Konkurrenz den Ellenbogen in die Rippen zu rammen. Zwei oder
gar drei Hummer balancieren sie auf den Tellern zum Tisch und müssen sie dabei festhalten,
damit sie nicht herunterrutschen oder gar von einem Gast, der leer ausgegangen ist,
geklaut werden. Nina und ich fragen uns, warum manche nicht mit Säcken zum Büfett
gehen und die Hummer hineinwerfen.
    Neben uns am Tisch sitzt eine Familie
mit drei Kindern. Jedes Kind hat einen eigenen Hummer und hackt darauf ein. Der
Vater bestellt sein drittes Pils, die Mutter trinkt Cola light und sagt immerzu:
»Lass das, Torben!« und »Malte, hör jetzt auf!« und »Henriette, nun iss endlich!
Wir woll’n doch gleich zur Minidisko.« Es zeigt keine Wirkung. Torben lässt seinen
halb zerhackten Hummer über den Tisch laufen und spricht dazu mit dumpfer, heiserer
Stimme Drohungen aus, bis seine Schwester zu heulen anfängt. Malte bekommt deshalb
einen Lachanfall und hört erst auf zu kichern, als ihn seine Mutter am Ohr zieht.
Darauf steckt er sich die Scheren des Krebses auf die Finger und klappert damit
vor dem Gesicht des kleinen Mädchens herum. Sie heult noch lauter, langt in ihre
Kartoffeln und wirft den Brei über den Tisch. Er landet im Bier des Vaters, der
nun auch mal was sagt, nachdem ihn seine Frau dazu aufgefordert hat. Nämlich: »Muss
ich unbedingt mit zur Minidisko? Heute kommt doch Bundesliga.«
    Vor Faszination komme ich gar nicht
zum Essen.
    An diesem Abend ist Nina nicht im
Hotel zu halten. Sie will unbedingt in einen Club und versucht, mich zum Mitkommen
zu überreden. Sie hat keine Chance, denn ich bin absolut nicht in Stimmung für Tanzalarm.
Stattdessen öffne ich mir eine Flasche Wein, setze mich auf den Balkon und beratschlage
Nina in der Wahl ihres Outfits. Zum Glück hört sie auf mich und zieht einen etwas
längeren Rock an. Ich bin nicht spießig, ich will nur nicht, dass ihr etwas passiert.
Sie ist eine Meisterin im Mienenspiel. Sie kann lachen, obwohl sie eigentlich traurig
und verletzt ist, und es gelingt ihr, mit einem Fingerschnippen zu verdrängen, woran
sie nicht denken möchte. Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie um diese Fähigkeit
beneiden soll. Manchmal ist es wahrscheinlich besser, wenn man den Schmerz akzeptiert
und ihn freilässt, damit er sich nicht einnistet und sich zu anderen verdrängten
Schmerzen

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