Tausche Brautschuh gegen Flossen
Eine weitere Ahnung sagt mir, dass
es weder die Studentin war, die von ihm schwanger wurde, noch die perfekte Heiratskandidatin,
die seine Eltern für ihn ausgesucht hatten.
»Es ist mir passiert.« Als er das
sagt, kann ich beobachten, wie ein bislang nicht da gewesener entrückter Ausdruck
auf seine Miene tritt. »Eine total verrückte Geschichte war das. Willst du sie hören?«
Natürlich will ich das! Ich werde
nicht von diesem Tisch aufstehen, bevor ich sie nicht gehört habe. Ich nicke.
»Sie wollte mein Auto stehlen.«
»Oh, ein perfekter Start!«
»Filmreif«, schmunzelt er. Er schenkt
mir Wein nach, bestellt für sich selbst noch ein Guinness und erzählt weiter. »Ich
war dumm genug, mein Auto nicht abzuschließen, und sie dachte, sie hätte ein leichtes
Spiel. Rechtzeitig bemerkte ich, dass etwas im Gang ist, und hinderte sie an ihrem
Werk, indem ich in den Wagen stieg. Zuerst dachte ich, sie sei ein Mann, und war
bereit, mich zu prügeln. Doch dann hat sie mich angesehen … und peng. Das war’s!«
Seine Geschichte ist so süß wie
traurig. Das Mädchen war keine kleine Ganovin, wie Christoph zuerst vermutete, sondern
ein heftig rebellierendes Blaublut. Ihren Eltern gehörte eine bekannte, millionenschwere
Confiserie in Stuttgart.
Er hat sie geliebt und sie ihn.
Obwohl sie nie zueinander fanden, trennte sich Christoph von der perfekten Heiratskandidatin.
Aus reiner Frustration ging er später die Beziehung zu der Studentin ein, von wo
an mehrere Katastrophen ihren Lauf nahmen – sowohl in seinem als auch im Leben der
vermeintlichen Autodiebin, deren Namen ich bislang nicht erfahren habe.
»Verrätst du mir, wie sie heißt?«
»Katinka.«
»Ungewöhnlich.«
»Sie war ein ungewöhnliches Mädchen.«
»Wo ist sie jetzt?«
»Ich habe keine Ahnung. Sie musste
Deutschland verlassen, untertauchen, nehme ich an, um frei zu sein.« Christophs
Ton verrät, dass die Geschichte hier zu Ende ist beziehungsweise nicht weitererzählt
wird.
Ein Frösteln kriecht über meine
Haut, und ich streiche über meine Arme, um es zu vertreiben. »Misst du an ihr alle
Frauen, die in dein Leben treten?«
»Nein, ich mag nur keine Kompromisse«,
antwortet er nach kurzem Zögern. »Löst eine Frau nicht früher oder später das in
mir aus, was Katinka ausgelöst hat, wäre es ein Kompromiss, wenn ich mich auf sie
einließe. Es wäre nicht fair.« Abermals grübelt er und schickt mir dann ein Lächeln.
»Nach ihr gab es eine Frau, die das geschafft hat. Nicht blitzartig, sondern Wort
für Wort. Leider war sie schon vergeben.«
Für die restlichen neun Tage überlässt Christoph das ›Deep Blue‹ der
Verantwortung seiner Tauchlehrer, um mir die Insel zu zeigen.
Nina schläft noch, als ich mich
an unserem fünften Urlaubstag aus dem Zimmer schleiche. Auf meinem Bett liegt eine
Nachricht, die sie darüber informiert, dass ich über Nacht weg sein werde.
Im Hafen von
Los Cristianos wimmelt es vor Frühaufstehern, haben auch nicht alle, wie wir, die
Absicht, eine der Autofähren zu nehmen. Die alten spanischen Fischer beispielsweise
scheinen schon seit Stunden am Pier zu hocken. Abseits des Fährhafens sehe ich eine
Reihe von Ticketbuden, die noch nicht besetzt sind. Ihre Betreiber werden später
miteinander wetteifern, um die Nachbauten von Piratenschiffen oder die Katamarane
mit Touristen zu füllen.
Da Christoph keine Zeit verlieren
möchte, bucht er auf einem der Schnellschiffe, das die Überfahrt nach La Gomera
in 40 Minuten schafft.
Wenig später steht die Corvette
zwischen anderen Fahrzeugen im Bauch der Fähre. Wir sitzen eine Etage darüber im
Passagierraum, wo es sogar eine Bar und Einkaufsmöglichkeiten gibt. Zuerst wundere
ich mich, dass es nicht möglich ist, an Deck zu gehen, doch Christoph meint, das
wäre ein zu hohes Sicherheitsrisiko. Die Fähre schafft 42 Knoten, was ungefähr 80
km/h entspricht, und ist damit eine der schnellsten der Welt.
Die Stadt San Sebastián liegt im
Süden von La Gomera an einem Hang aus vulkanischem Gestein. Zwischen dem Grün der
Palmen und dem Grau der Felsen erstrahlen pastellfarbene und weiße Häuser und Hotels
im morgendlichen Licht. Die Fähre verliert an Geschwindigkeit und schwimmt in den
Hafen, wo hauptsächlich Sportboote und Jachten vor Anker liegen.
Von San Sebastián machen wir uns
in nördliche Richtung auf. 30 Minuten später parkt Christoph in El Cedro vor dem
›La Vista‹, einer an einem Steilhang gelegenen Bar. Beim Frühstück auf der
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