Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
ein Kristall in den Tigris gefallen: wer ihn brächte, dem sei die Hand der Prinzessin bestimmt. Der Jüngling nahm des Kalifen Zusage und ging an das Ufer des Tigris.
Er hatte nichts als ein Geschirr, mit dem er Wasser ausschöpfte, das er am Ufer ausgoß; danach verrichtete er sein Gebet. Dies tat er vierzig Tage lang. Die Fische, die ihn alle Tage wiederkommen und dasselbe tun sahen, fingen an, unruhig zu werden. Sie hielten Staatsrat darüber. »Was will der Mann?« fragte der Altvater der Fische. »Den Karfunkel, der seit so vielen Jahren im Schlamme des Tigris liegt.« »Ich rate euch,« sagte der Altvater, »liefert ihn ihm aus, denn wenn er den festen Willen und ernstlichen Vorsatz hat, ihn zu finden, so wird er, das sag ich euch, eher den Tigris ausschöpfen, als von seinem Vorhaben abstehen!« Die Fische fürchteten aufs Trockene zu kommen und warfen den Karfunkel ins Geschirr des Jünglings, der alsbald die Tochter des Kalifen zur Frau erhielt. Es kann viel, wer ernstlich will.
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Asad Al-Daulat erhielt vom chinesischen Kaiser eine Sklavin zum Geschenk, die ihn durch leidenschaftliche Liebe bald so beherrschte, daß er der Regierungsgeschäfte vergaß. In einem Augenblicke, wo sein Pflichtgefühl erwachte, wollte er die Sklavin entfernen, aber er fühlte, es sei ihm unmöglich, sich von ihr zu reißen, solange sie lebte. Und er befahl, daß man sie in den Tigris werfe. Mit dem nächsten Morgen kam die Reue, der Vollstrecker des Urteils sollte der Sklavin folgen, allein er hatte sie und mit ihr sein Leben gerettet. Nun ging es wie bisher, die Leidenschaft brannte heftiger denn jemals. Die Regierungsgeschäfte wurden vernachlässigt, das Volk schrie laut wider Asad al-Daulat. Da entstand ein fürchterlicher Kampf in seiner Seele zwischen Liebe und Pflicht. Keiner seiner Untergebenen, das wußte er, würde das Todesurteil vollziehen wollen, um nicht seines zu verdienen. Er faßte den fürchterlichen Entschluß, selbst der Henker seiner Geliebten zu werden, und stürzte sie mit eigener Hand aus den Fenstern des Palastes in die Fluten des Tigris. Lange Zeit hernach blieb er eingeschlossen, von Schmerz und Reue gefoltert; die Reichsgeschäfte gingen ihren Gang fort, und das Volk war zufrieden.
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Die neuere arabische Geschichte nennt als die Freigebigsten Abdullah, den Sohn Dscha'afars, Gorabat al-Ussa und Kis, den Sohn Saads. Man stritt sich zu ihrer Zeit darum, wer von diesen dreien wohl der Freigebigste sei, und stellte Wetten darauf an. Der, der sich für Abdullah erklärt hatte, ging als erster zu ihm hin und fand ihn, wie er eben den Fuß in den Steigbügel setzte, um eine Reise zu machen. »Was willst du«, fragte ihn Abdullah. »Ich bin ein armer Sohn des Weges.« Sogleich zog Abdullah den Fuß aus dem Steigbügel zurück und schenkte ihm das Kamel und eine herrliche Klinge, die er von Ali hatte, außerdem noch viertausend Dinare als Reiseunkosten. Jetzt ging der Freund zu Kis, Saads Sohn, um ihn auf die Probe zu stellen, und fand ihn schlafend vor. Der Sklave an der Tür fragte, wer er sei und was er wolle. »Ich bin ein Sohn des Weges, dem der Faden ausgegangen ist, das ist: ein Reisender ohne Geld.« »Es ist nicht nötig,« sprach der Sklave, »meinen Herrn aufzuwecken; nimm diesen Beutel mit siebenhundert Dinaren. Es ist das einzige Geld, das uns im Hause geblieben ist. Nimm das Kamel und die Ausrüstung, die dir beliebt!« Als Kis erwachte und von seinem Sklaven vernahm, wie er ganz in seinem Sinne gehandelt hatte, schenkte er ihm dafür die Freiheit. Der dritte, der auf Gorabat-al-Ussa gewettet hatte, begegnete ihm, als er sich eben von zwei Sklaven aus dem Hause in die Moschee führen ließ, denn er war blind. »Ich bin«, redete er ihn an, »ein Sohn des Weges, dem der Faden ausgegangen ist.« Sogleich zog der Blinde seine Hände von den Wegweisern ab und rief: »Ach, das Schicksal hat mich meiner Reichtümer beraubt, es hat mir nichts gelassen als diese beiden Sklaven, die meine Schritte durch die ewige Finsternis leiten, die meine Augen umnachtet. Nimm sie, sie können dir von einigem Nutzen sein!« Alle Bitten des Fremden, sich der Sklaven nicht zu berauben, waren umsonst. Er tappte nach der Mauer, um seinen Weg nach Hause zu finden, und er wurde durch das einstimmige Urteil derer, die über den Vorrang der Freigebigen gewettet hatten, für den Freigebigsten seiner Zeit erkannt.
Ein gastfreundlicher Mann bewirtete einst drei Tage über einen Bekannten und entschuldigte sich beim
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