Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
lieber Jahia, wir haben keine Zeit zu verlieren.‹ Sie öffneten die kleine Gartentüre und kamen glücklich hinaus; Jahia aber war mit zwei Bündeln beladen, und Meimune trug ein kleines Kästchen.
Sie kamen ohne Hindernis in Mohammeds Haus, der seine Freunde noch nicht verlassen hatte, klopften an das Tor, eine alte Sklavin öffnete ihnen; sie traten nun in das Fremdengemach ein, wo Jahia Allah dankte, ihn aus einer solch großen Gefahr gerettet zu haben. Und er gab sich einer unbändigen Freude hin und bezeigte Meimune all seine Dankbarkeit; das schöne Mädchen aber war traurig und seufzte unaufhörlich. ›Was hast du denn?‹ sprach er zu ihr, ›o Seele meiner Gedanken, was können wir uns noch wünschen, liegt nicht alle Gefahr hinter uns?‹ ›O mein lieber Jahia,‹ entgegnete sie ihm, ›ich hätte dich für verständiger gehalten; kannst du in nächster Nähe eines so schlimmen Menschen, wie es der Scheich ist, so vollständig ruhig sein? Denke doch, daß zu seinen ungeheuren Reichtümern noch das Ansehen kommt, das ihm sein Ruf als Heiliger einbringt; beides wird er aufwenden, um unser wieder habhaft zu werden, und dann sind wir rettungslos verloren. Er schläft augenblicklich, aber wenn er uns beim Erwachen nicht mehr vorfindet, wird er dich beim Kadi verklagen, weil du Wein getragen hast; und diese Anklage allein genügt zu deiner Bestrafung. Was mich angeht, so wird er mich als seine Sklavin zurückfordern; mit einem Worte, alles ist uns gewärtig, was seine grausame Einbildungskraft in der Wut, Verzweiflung und Gefahr, der ihn unsere Flucht aussetzt, ersinnen kann. Laß uns doch vor seiner Wut schützen und uns nach Konstantinopel reisen, ehe es tagt, eine andere Rettung gibt es nicht für uns!‹ Während dieses Zwiegespräches traf Mohammed ein, seine erste Sorge war, die alte Sklavin nach dem Ergehen seines Freundes Jahia zu fragen. Die antwortete ihm, daß er im Fremdengemach wäre. Mohammed wollte ihn nicht stören und legte sich schlafen.
Meimune setzte indessen ihre inständigen Bitten fort, Jahia zum Aufbruch nach Konstantinopel zu bewegen. Er aber sprach zu ihr: ›Wenn das von mir abhinge, o du strahlender Mond der Erde, würde ich alsogleich über das Meer fahren und wollte noch ganz andere Dinge tun, um dich zufriedenzustellen. Aber es ist unmöglich; alle Boote sind aufs Land gezogen, alle Stadttore geschlossen; und damit noch nicht genug: wenn der Bostanschi Bachi, der die Nacht über Wache hält, ein Schiff auf dem Meere sieht, ehe der Tag angebrochen ist, weißt du nicht, daß er es dann erbarmungslos in den Grund bohren würde? Warte doch einige Zeit, ruhe dich aus; der Tag kann nicht mehr fern sein; und glaube nicht, daß ich ruhig bin, wenn ich dich in Sorgen sehe!‹ Solche Worte bestimmten Meimune, ein wenig Geduld zu haben, und Jahia benutzte diese Zeit, um sie zu fragen, zu welchem Zwecke der Scheich so die Herzen derer vertilge, die er hatte töten lassen.
›Während des Verlaufs der drei Jahre, die ich bei ihm zubrachte,‹ erzählte sie ihm, ›habe ich alle Tage das gleiche Schauspiel vor sich gehen sehen; die großen Reichtümer, die er besitzt, bestehen aus allem, was er denen abgenommen hat, die er an sich lockte, um an ihnen die Grausamkeit zu vollziehen, die deine Augen erblickt haben. Eine Krankheit, die er ehedem gehabt hat, hindert ihn, auf andere Weise der Ruhe zu genießen: das Herz eines Menschen allein kann die Erregung seines Gemütes dämpfen!‹
Meimune befriedigte so seine Neugierde und war doch aufmerksam genug, um den ersten Hahnenschrei zu vernehmen. Alsobald erhob sie sich, nahm ihr kleines Kästchen und machte sich zur Abreise fertig; so wurde Jahia denn genötigt, die anderen Bündel zu nehmen und ihr zu folgen.
Sie gingen fort, ohne Mohammed einen Bescheid zu geben, und befanden sich bald am Meeresstrande. Da sie jedoch kein Schiff antrafen, mußten sie wohl oder übel einige Zeit am Ufer entlang wandern. Sie bemerkten endlich das Licht eines Fischers, und Jahia beschwor ihn mit kläglicher Stimme, ans Land zu rudern. Der Fischer war erstaunt, jemanden zu einer Zeit rufen zu hören, in der sonst noch kein Mensch auf war, und wurde von Furcht gepackt und zweifelte keinen Augenblick, daß ein Geist zu ihm spräche. Alsbald verlegte er sich aufs Beten, Jahia aber war durch Meimunes Eifer, sich einzuschiffen, beredsam geworden und setzte ihm so gut zu, indem er ihm versprach, alle seine Forderungen bezahlen zu wollen, daß der Alte sie in sein
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