Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Nutzen sein könnte. Alle ihre Sorgfalt aber war vergeblich; das Tor, das der Prinzessin und ihrem Gefolge als Eingang in den Garten diente, war groß und mit weißem Marmor bekleidet, der mit goldener Bronze verziert war, und ließ nicht zu, daß man hinüberblickte. Mit dem Betrachten aller dieser Gegenstände und unter mancherlei Gedanken verbrachte Zahide den zweiten Tag.
Als die Nacht gekommen war, erschien wie gewöhnlich die Prinzessin, jedoch noch weniger fröhlich als am vergangenen Abend. Zahide lief auf sie zu und bezeigte ihr um so viel mehr Aufmerksamkeit und Hitze, als sie um die Ursache ihres Kummers wußte. Die Prinzessin aber sagte zu ihr, indem sie auf die schmeichelhaften Reden antwortete, die sie zu ihr gesprochen hatte: ›Warum, o Fremdling, dankest du für alle meine Guttaten? Du scheinst sehr liebenswürdig und höflich zu sein und suchst mich zu bestechen;
indessen passen deine Handlungen nicht zu deinen Worten!‹ ›Was kann mir die hohe Sultanin vorwerfen? Worin kann ihr Sklave ihr mißfallen haben?‹ rief die schöne Zahide aus und stürzte ihr zu Füßen. ›Du hast meine Sklavin verächtlich behandelt‹, sagte die Prinzessin zornig darauf, ›welches kann der Grund einer solchen Kälte sein?‹ ›Die Liebe, die du mir eingeflößt hast,‹ entgegnete ihr zärtlich Zahide, ›ja, o schöner Mond der Welt, diese Liebe macht mein Herz gegen alles gefühllos; die schönste der Huris würde mir jetzt gleichgültig sein. Gib mir deine schönen Hände; erlaube mir, indem ich sie küsse, das Feuer, das mich verzehrt, zu lindern; geruhe Mitleid mit einem Unglücklichen zu haben, dem deine Härte das Grab öffnet!‹
Immer verwirrter wurde die Prinzessin, immer mehr gab sie vor, zufrieden zu sein; immer gefallsüchtiger wollte sie sich zeigen, und immer mehr verdoppelte Zahide die lebhaften Ausbrüche, süßen Beteuerungen und ihren Eifer: ist es möglich, gefallsüchtig zu sein, wenn die Liebe im Herzen thront? Die Prinzessin gab also Zahide die Hand, sagte ihr ein zärtliches Wort oder sah sie innig an; doch ihr Herz machte ihr über eine Handlung Vorwürfe, die sie nicht einmal begangen hatte. Sie suchte Zahide von ihrer Liebe abzubringen, indem sie sie auf eine Sklavin hinwies, bald, um ihr Beifall zu spenden, bald, um ihren Tanz, ihre Gestalt und ihre Vorzüge zu bewundern; dann wieder lobte sie ein Musikstück oder ein gesprochenes Gedicht. Einige Male ließ sich Zahide aus Mitleid diese Ausflüchte und von der Liebe eingegebenen Schlupfwege gefallen. Stand ihr doch der Beweggrund zu nahe, um nicht solche Gefälligkeit zu üben. Um sich indessen von dem Glücke ihres Bruders zu überzeugen, dankte sie ihr bald für ihre Güte, bald hielt sie zu ihrem Lobe eine Rede oder machte die gleichgültigste Gebärde; und dieses Vorgehen brachte die Prinzessin zur Verzweiflung, um so mehr, als sich Zahide fortwährend weigerte, sich der Verführung zu überlassen, welche die erlesenen Weine, die man ihr unaufhörlich darbot, verursachen konnte; solches war eine Zuflucht, die, nicht zu vernachlässigen, die Prinzessin ihren Sklavinnen geboten hatte. Als die Stunde der Trennung herangekommen war, schlug die Prinzessin wie gewöhnlich dem Fremden eine neue Sklavin vor, der aber wies sie als eine Beleidigung zurück. Die Prinzessin erregte sich darüber und bestand voll Bitterkeit auf dem Gesetz; Zahide jedoch sagte zu ihr: ›O Sultanin meines Herzens, da du mich zwingst, abermals deiner Sklavinnen eine zu erwählen, werde ich gehorchen, obwohl sie mir völlig nutzlos ist, und will keine andere als die schöne Muna nehmen!‹ Darauf zog sich die Prinzessin zurück; doch rief sie vorher Muna zu sich und sprach zu ihr, ohne daß man es hören konnte: ›Wenn du mich liebhast, o schöne Muna, wende alle Sorgfalt an, um diesem Fremden zu gefallen, niemals haben wir einen lästigeren gehabt, du allein vermagst, mich vor einem traurigen Leben zu retten; es steht in deinen Händen.‹ Muna fehlte es wahrlich nicht an Lust, ihrer Herrin gefällig zu sein, zumal sie ja selbst wünschte, dem jungen Fremden zu gefallen. Und aufrichtig versprach sie ihrer Herrin, nichts zur Ausführung ihrer Befehle zu versäumen.
Als Zahide sich allein mit Muna sah, sprach sie: ›Weißt du heute besser Bescheid als gestern?‹ ›Ach nein,‹ sagte die süße Sklavin darauf, ›aber ich liebe dich und habe nichts unterlassen, um dich zu befriedigen; unter der Zahl derer, die uns bedienen, gibt es eine Sklavin, deren Alter
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