Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
diese Wendung nichts fruchtete, sie weiter aufzuklären, gab sie der den Vorzug, welche die lebhafteste zu sein und infolgedessen den schärfsten Verstand zu haben schien. ›Schöne Muna, bleibe bei dem Fremden!‹ sagte die Prinzessin sofort zu ihr und zog sich zurück. Muna und Zahide aber setzten sich auf ein Ruhebett und bewahrten einige Zeit über tiefes Schweigen. Die eine erwartete mit Ungeduld, daß man ihren Reizen den Zins zahlte, den sie verdienten, und brannte indessen vor Eifer, zum Ziel zu kommen; die andere jedoch sann auf Mittel, wie sie ihre Neugierde befriedigen könnte. Endlich näherte sich ihr Muna und wollte ihre Unterhaltung und Bekanntschaft mit Liebkosungen und Küssen einleiten. Zahide erwiderte solches mit einer Kälte, welche die lebhafte und ungeduldige Muna überraschte und betrübte. ›Spare deine Güte für mich auf,‹ fing die liebenswürdige Zahide zu reden an, ›gib mir Zeit, sie zu verdienen, und laß mich vorher wissen, was du von der Prinzessin und dem geheimnisvollen Korbe in Erfahrung gebracht hast!‹ ›Teurer Fremdling,‹ sagte sie dawider, ›eine Kette von Glücksfällen möge alle Tage deines Lebens umschlingen! Ich möchte deiner Neugier wohl genugtun können. Höre auf mich, laß uns lieber das Verlangen unserer Seele erfüllen, halte das deinige nicht mehr zurück, lasse meines sich ergießen und nutze einen so glücklichen Umstand aus.‹ Zahide erklärte ihr jedoch, daß sie vorher auf ihre Fragen antworten müsse. Und Muna nahm das Wort wieder und sagte ungeduldig zu ihr; ›Wir werden hier bewacht, meine Genossinnen und ich, und sind nicht imstande, zu erfahren, um was du mich fragst. Es sind sechs Jahre her, daß ich durch Sklavenhändler fortgeschafft wurde. Die verkauften mich in dieses Land; man vereinigte mich mit denen, die du eben sähest; wir wohnen in einem Serail, der von dem der Prinzessin abgesondert ist, und sehen sie nur zur Stunde des Mahles und des Morgens, wenn wir, nachdem wir den Fremdling verlassen haben, vor ihr und dem Könige in Gegenwart des Diwans von allem, was er uns gesagt hat, Rechenschaft ablegen. Mit den äußersten Vorsichtsmaßregeln führen uns die Eunuchen dann aus dem Palaste, und wir ziehen uns in unsere gewohnte Behausung zurück; es ist uns bei Lebensstrafe verboten, zu wem es auch sei, von uns zu sprechen und über uns Auskunft zu geben. Du siehst nun deutlich,‹ fuhr sie fort, ›daß es diese Erzählung nicht verdient, die Vergnügungen, die zu genießen uns freisteht, zu unterbrechen; komm also, o Sonne meiner Gedanken,‹ sprach sie und erneuerte ihre Zärtlichkeiten mit Augen, die das Verlangen beseelte, ›komm, und erfülle mich mit Freude, komm, und berausche meine Seele!‹ Zahide aber, die sich niemals in einer ähnlichen Lage befunden hatte, sprach zu ihr: ›O liebe Muna, deine Schönheit und deine Liebe werden mein Herz leicht unterjochen, ich lasse der einen wie der anderen Gerechtigkeit widerfahren, doch ich bin außerstande, sie zu benutzen!‹ ›Was hindert dich daran?‹ fragte Muna mit ebensoviel Lebhaftigkeit wie Unruhe. ›Die Schönheit der Prinzessin hat meine Seele so fest gekettet‹, fuhr die schöne Zahide fort, ›und beherrscht mein Herz so vollständig, daß ich unfähig bin, mich einem andern Gedanken hinzugeben!‹ ›Wie unglücklich bin ich!‹ rief die süße Muna aus und vergoß bittere Tränen. ›Was soll ich tun, um dir zu gefallen, o du grausamster aller Männer?‹ ›Verzweifle nicht, o schöne Muna; ich werde deinen Reizen vielleicht noch huldigen, lasse die deines Verstandes glänzen, sie vermögen ebensoviel Eindruck auf mein Herz zu machen wie die deiner Schönheit. Die Prinzessin – so schön wie sie ist – hat vielleicht nicht ebensolche Lebendigkeit und Anmut!‹ ›Sie ist unvergleichlich‹, antwortete Muna und verdoppelte ihre Tränen, ›und ist eine Sonne der Vollkommenheit; es ist wahr, seit einiger Zeit scheint uns ihre Fröhlichkeit nicht mehr die frühere zu sein, und sie läßt sehr viel Ungleichheit in ihren Stimmungen blicken. Und Seufzer entfahren ihr, die sie vergebens zurückzuhalten sucht; ihre Mahlzeiten wurden abgekürzt, sie kommt später in den Garten und scheint nur auf Mittel, sich entfernen zu können, bedacht zu sein; mit einem Worte, ihre Milde und Fröhlichkeit, die ihr angeboren waren, beleben uns nicht mehr bei unsern Vergnügungen!‹ ›Aber seit welcher Zeit‹, fragte sie Zahide, ›hast du einen solch lebhaften Wechsel bemerkt?‹
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