Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
›Seit sechs Monden ungefähr,‹ antwortete die ihr, ›als ein Fremdling drei Tage bei uns verbrachte, was ungewöhnlich ist, denn oft werden uns die Fremden noch in der ersten Nacht entführt!‹ Zahide aber bat Muna, ihr den Fremden zu beschreiben, und als sie ihr das Bild des Königs, ihres Bruders, entworfen hatte, verdoppelte sie ihre Fragen; und obwohl sie sehr ungeduldig war, fuhr die Sklavin also fort: ›Er unterhielt scheinbar die Prinzessin besser als die andern; denn der Guttaten, die sie für ihn hatte, waren gar viele. Er hatte sogar bei meinen Genossinnen geschlafen; folglich hätte er uns am ersten Tage verlassen müssen; die Prinzessin jedoch, die zweifelsohne eine große Freude daran hatte, ihn zu sehen, verbot den Sklavinnen, die zwei Nächte mit ihm zugebracht hatten, vor dem Könige, ihrem Bruder, und vor dem Diwan davon zu reden. Und er wäre glücklich geworden, wenn er am dritten Tage das Feuer, das ihn der Prinzessin wegen verzehrte, hätte dämpfen können. Doch er vergaß sich, und seine Keckheit wurde bestraft. Seit der Zeit sind unsere Herzen mit Sürmeh (welches eine schwarze Farbe und das Sinnbild der Trauer ist) bedeckt, und all unsere Freuden haben sich mit ihm verflogen; wir dürfen nicht hoffen, ihn wiederzusehen, und alles, was wir wünschen können, ist, daß die Erinnerung an ihn für immer erlöscht!‹ ›Wie darf ich glauben,‹ sagte Zahide darauf, ›daß die Prinzessin diesem glücklichen Fremdling solch lebhaftes Andenken bewahrt hat? Denn die Vergnügungen dieses Gartens der Wonne, die Guttaten, die sie für alle hat, die der Korb unaufhörlich vor ihre Knie legt, stehen im Widerspruch mit deiner Erzählung!‹ ›Leicht kann ich darauf antworten‹, versetzte Muna; ›es kommen nicht alle Tage Fremdlinge hierher; auch sind sie seit einiger Zeit seltener denn je geworden; und die Prinzessin hatte niemandem den Garten in ihrer Güte ebensolange geöffnet, wie dem Fremden, mit dem du dich lebhaft zu beschäftigen scheinst. Wahrlich, er verdiente alles, was man ihm nur gewähren konnte; meinen Gefährtinnen, welche die beiden Nächte mit ihm verbracht haben, steht er noch vor Augen, unaufhörlich sprechen sie von ihm; und du allein kannst meine Seele mit einem gleichen Dufte durchduften, wenn du meinem Verlangen entsprichst!‹ ›Fahre mit deiner Erzählung fort‹, unterbrach sie Zahide; ›die Prinzessin hatte also vorher keinem andern Fremdlinge so viel Guttaten erwiesen?‹ ›Nein, gewißlich,‹ entgegnete Muna, ›sie begnügte sich vorher damit, ihre Schönheit zu zeigen, deren Wirkung wie ein wohltätiges Gestirn bewundern, einige Blicke aus ihren schmachtenden schönen Augen fallenzulassen oder zu werfen und dann einige Male zu erlauben, daß man auf ihre Gesundheit trinke; doch gewährte sie diese Gunst selten; endlich sagte sie manchmal ein schmeichelhaftes oder verbindliches Wort. Seit der Zeit aber hat sie hauptsächlich diese Gunstbezeigungen eingeschränkt, und du kannst dich selbst davon überzeugen; schließlich berauschen ihre einzige Schönheit, ihre Reize, ihr Lachen, die auserlesenen Weine, die Wohlgerüche, der Tanz, die Musik und der Anblick der Jungfrauen, über die ein Fremder verfügen kann, vor allem die Liebe und das Verlangen derer, die sich hier einstellen. Die Unterwürfigkeit hat sie immer vor der Prinzessin zurückgehalten; doch alle sind sie noch den Sklavinnen verfallen, die mit sich zu nehmen sie ihnen gebot, oder haben sich im Übermaße den herrlichen Weinen ergeben, die man ihnen in Fülle einschenkte; von dem Augenblicke an haben wir sie nicht wiedergesehen; man versichert uns freilich, daß sie untröstlich wären und die Erinnerung an diesen Garten ihnen alle Vergnügen der Welt unerträglich mache. Bislang hatte ich Mühe, mir solch einen Verdruß vorstellen zu können; nun fühle ich aber, daß mir deine Abwesenheit das Dasein bald unerträglich machen würde. Das ist alles, was ich weiß,‹ fuhr sie fort, ›solches schwöre ich dir bei dem Könige der Geister.‹ ›Du willst dich also von mir trennen und mich für immer verlassen,‹ erwiderte dann Zahide, ›und willst mich nicht länger hier sehen, weil du verlangst, daß ich mich deinen Wünschen füge!‹ ›Deine Kälte bringt mich zur Verzweiflung‹, antwortete ihr die schöne Muna; ›ich fühle wohl, was du damit sagen willst, aber wie kann man bei Verstande bleiben, wenn man mit einem Wesen, das man liebt, allein ist?‹ ›Ich habe nur noch eine Frage an dich zu
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