Tausend und eine Nacht, Band 4
geweihten Kanne. Sie schüttelte sie so, daß die Palmblätter wegflogen und einige Goldmünzen herausfielen, und als sie der Pförtner ihr zurückgeben wollte, sagte sie: »Die hat dir Gott beschert, ich habe nichts mit irdischen Gütern zu tun.« Er führte hierauf Dalilah zu seiner Herrin, welche so vielen Schmuck an sich hatte, daß sie Dalilah wie ein Schatz erschien, dessen ihn verhüllende Talismane plötzlich ihre Kraft verloren. Die Hausherrin begrüßte Dalilah und bewillkommte sie freundlich und ließ ihr zu essen bringen. Dalilah sagte aber: »Ich faste das ganze Jahr hindurch bis auf fünf Tage, und auch des Abends esse ich nur von den Speisen des Paradieses, die mir einige Heilige meiner Bekanntschaft verschaffen. Aber du, edle Frau, siehst sehr betrübt aus; was fehlt dir denn, da du doch so von Glanz und Reichtum umgeben und noch so jung und schön bist?« – »O Mutter«, antwortete die Hausherrin, »ich ließ in meiner Hochzeitsnacht meinen Gatten schwören, daß er nie eine andere Frau zu mir nehmen würde; nun möchte er aber Kinder haben, die nicht in meiner Macht liegen, ihm zu geben, und er drohte mir, bei seiner Rückkehr von einer Reise, die er eben unternommen, trotz seines Eides noch eine andere zu heiraten; tut er dies aber, und erhält er Kinder von einer anderen Frau, so werden sie alle seine Güter und seine Schätze einst erben, und ich werde arm und verlassen bleiben.« – »Hast du denn noch nichts von dem heiligen Abu Hamlat gehört«, fragte Dalilah im Ton des Erstaunens, »den noch keine unfruchtbare Frau besucht hat, die nicht bald nachher Kinder geboren hätte?« – »Ich bin seit meiner Vermählung weder zur Freude noch zur Trauer ausgegangen«, antwortete die Hausherrin, »und weiß nichts von Abu Hamlat.« – »So folge mir sogleich«, versetzte Dalilah, »ich kenne ihn gut und werde ihn bitten, daß er für dich alle seine Frömmigkeit aufbiete, um von Gott die Erfüllung deines Wunsches zu erlangen. Du aber mußt mir versprechen, daß, wenn du einen Sohn oder eine Tochter gebärst, du sie ganz für Gott erziehest.« Die Frau ließ sich überreden, mit ihr zu gehen, und der Pförtner, den seine Goldmünzen nicht an der Frömmigkeit Dalilahs zweifeln ließen, bestärkte sie in ihrem Vertrauen auf dieselbe. Als Dalilah mit ihr auf der Straße war, dachte sie an nichts anderes, als ihr die kostbaren Kleider und den reichen Schmuck, mit dem sie ausging, auf eine geschickte Weise abzunehmen. Sie ging nun voran und hieß des Obersten Frau ihr in einiger Entfernung folgen, damit sie nicht gestört werde, wenn die Leute sich mit ihren Anliegen um sie drängen. Da kamen sie an dem Laden eines jungen Kaufmanns vorüber, welcher Hasan hieß und noch unverheiratet war, dieser sah ihr mit so verlangendem Blick nach, daß Dalilah es merkte. Sie hieß die Frau des Obersten auf eine Bank vor dem Laden Hasans sich niederlassen, so daß dieser sie gut sehen konnte. Dann begab sie sich zu ihm und fragte ihn: »Bist du der Kaufmann Hasan, der Sohn Muhsins?« – »Der bin ich«, antwortet Hasan; »doch woher kennst du meinen Namen?« – »Gute Leute«, versetzte Dalilah, »haben mich mit deinem Namen bekannt gemacht. Wisse, dieses Mädchen ist meine Tochter; ihr Vater ist vor kurzem gestorben; er war ein reicher Kaufmann und hat ihr ein ansehnliches Vermögen hinterlassen. Da sie nun das Alter erreicht hat, wo Mädchen zu heiraten pflegen, sagte mir mein Herz, ich sollte dich zu meinem Schwiegersohn wählen; was sagst du dazu?« – »Schon oft«, erwiderte Hasan, »schlug mir meine Mutter diese und jene als Braut vor, aber ich konnte mich nie dazu entschließen, mich zu verloben, ohne meine Braut vorher zu sehen; ich werde daher auch deinen Antrag nur annehmen, wenn du mir gestattest, deine Tochter zu entschleiern.« – »Das sollst du«, versetzte Dalilah; »folge mir nur in einiger Entfernung!« Hasan schloß seinen Laden und steckte für den Notfall einen Beutel mit tausend Dinaren zu sich. Die Alte ging voran; eine Strecke hinter ihr folgte die Frau des Obersten und dann Hasan, bis sie vor den Laden eines Färbers kamen, von dem Dalilah wußte, daß er eine Wohnung zu vermieten habe. Hier blieb sie stehen, grüßte ihn und sagte ihm: »Da in meinem Haus einige Reparaturen vorgenommen werden müssen und ich vernommen habe, daß du ein Haus zu vermieten hast, so bin ich zu dir gekommen, um dich zu fragen, ob du mir es auf einige Zeit vermieten willst.« – »Recht gern«, antwortete
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