Tausend und eine Nacht, Band 4
weinen muß; mein Auge hat sich so sehr ans Weinen gewöhnt, daß nun die Freude ihm wie einst der Gram Tränen entlockt.«
Während sie so einander die Schmerzen der Trennung und Sehnsucht klagten, kamen auf einmal Boten, welche Schemsiahs Ankunft meldeten, die ihre Schwiegermutter zu begrüßen kam. Djanschahs Mutter ging ihr entgegen, grüßte und umarmte sie, und begleitete sie wieder mit allen Frauen der Fürsten und Staatsoberhäuptern in ihr Zelt zurück und brachte zehn Tage in allerlei Festlichkeiten bei ihr zu. Der König, der auch so lange in seinem Zelt geblieben war, befahl nun den Truppen, in die Stadt zu ziehen, und er ritt selbst an der Spitze, von zahlreichem Gefolge umgeben. Die Stadt wurde mit Atlas und anderen Seidenstoffen, farbigem Tuch und sonstigem Zierat ausgeschmückt. Die Vornehmen des Reiches veranstalteten allerlei Feste, und die Armen und Bedürftigen wurden reichlich gespeist.
Nach zehn Tagen schickte der König Tighanus zu sachverständigen Baumeistern und Geometern und befahl ihnen, ein Schloß mitten in seinem Garten anzulegen. Die Baumeister entwarfen einen Plan zur Erbauung des Schlosses, und als der Grund gelegt wurde, ließ Djanschah eine weiße marmorne Säule herbeischaffen und befahl den Arbeitsleuten, sie wie ein Rohr auszuhöhlen. Als dies geschehen war, nahm er Schemsiahs Kleid und legte es in diese Säule, die er dann in den Grund versenken und mit einem Gewölbe überbauen ließ. Sobald das Schloß vollendet war, ließ es der König ausmöblieren, und bald darauf wurde Djanschahs Hochzeit in diesem Schloß gefeiert. Als aber Schemsiah das Schloß betrat, stieg ihr der Geruch ihres Kleides entgegen und leitete sie auf den Platz, wo es verborgen war. Nun ging sie mit dem Gedanken um, sich desselben wieder zu bemeistern. Aber sie mußte warten, bis die Hochzeitsgäste das Schloß verließen und Djanschah in ihren Armen eingeschlafen war.
Gegen Mitternacht, als er in tiefen Schlaf versunken war, stand sie leise auf, ging zur Säule hin, grub das Gewölbe auf, das darüber gebaut war, bis sie zur Säule gelangte, in welcher das Kleid war; dann zerschnitt sie das Blei, das darüber gegossen war, nahm das Kleid heraus, zog es an und flog auf die Terrasse des Schlosses; von hier aus rief sie ihren Leuten zu, sie möchten Djanschah wecken, damit sie von ihm Abschied nehme. Als Djanschah heraustrat und Schemsiah auf der Terrasse des Schlosses in ihrem Federnkleid sitzen sah, sagte er: »Was hast du getan?« Sie antwortete: »O mein Geliebter, Freude meines Auges! Bei Gott, ich liebe dich sehr und bin dir sehr gern hierher gefolgt; auch habe ich mich mit deinem Vater und deiner Mutter gefreut; aber länger will ich doch nicht hier bleiben. Wenn du mich nun auch liebst, so folge mir zur Zitadelle von Edelsteinen.« Sobald sie diese Worte gesagt hatte, flog sie davon und kehrte zu den Ihrigen zurück. Djanschah wurde fast wahnsinnig, als er sie verschwinden sah, und fiel ohnmächtig zu Boden.
Seine Leute benachrichtigten seinen Vater von dem, was vorgefallen; er eilte ins Schloß und fand seinen Sohn noch immer ohnmächtig über den plötzlichen Verlust seiner Geliebten; er bespritzte ihn mit Rosenwasser, bis er wieder zu sich kam; dann fragte er ihn: »Wie konnte deine Gattin von der Terrasse entfliehen?« Der Prinz antwortete: »Wisse, mein Vater, Schemsiah war eine Genientochter, aus Liebe zu ihr nahm ich ihr das Kleid weg, mit welchem sie fliegen konnte, und verbarg es in einer Säule, die ich in den Grund versenkte; sie aber grub die Grundlage des Hauses auf, nahm das Kleid, flog davon und lud mich ein, ihr in die Diamanten-Zitadelle zu folgen.« Da sagte der König: »Betrübe dich nicht, mein Sohn, ich will alle Reisenden und Kaufleute versammeln und mich erkundigen, wo diese Zitadelle liegt; dann ziehen wir hin, und mit Gottes Hilfe werden ihre Verwandten sie dir zurückgeben.« Der König ließ hierauf sogleich seine vier Veziere rufen und befahl ihnen, alle Kaufleute und Reisenden der Stadt zu versammeln und sie nach der Diamanten-Zitadelle zu fragen, und dem, der weiß, wo sie liegt, tausend Dinare zu geben. Die Veziere taten, wie ihnen der König befohlen, aber niemand wußte etwas von dieser Zitadelle; sie kehrten daher bestürzt zum König zurück und berichteten es ihm. Dieser ließ nun, um seinen Sohn zu zerstreuen, die schönsten Sklavinnen, die besten Sänger und geschicktesten Musiker ins Schloß kommen. Auch schickte er Kundschafter nach allen Ländern aus,
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