Tausendschön
dass im gesamten Land nach ihr gesucht werde und dass ihr Bild in den Tageszeitungen zu sehen gewesen sei. Deshalb hatte sie auch nicht gewagt, die Wohnung zu verlassen, und sich damit abfinden müssen, keinen weiteren Zugang zu Nachrichten über den Mord an ihren Eltern und ihrer Schwester in Schweden zu haben.
Er hatte auf Hochtouren gearbeitet, seit sie ihn um Hilfe gebeten hatte. Er gestand freimütig, dass sie ihn vor ein Problem gestellt hatte. Wenn er normalerweise dabei half, Flüchtlinge von Bangkok nach Schweden zu schleusen, dann hatte er den Pass einer anderen Person zur Hand, die dem Flüchtling so ähnlich wie möglich war. So konnte der Flüchtling zumindest mit echten Ausweispapieren reisen, und die Wahrscheinlichkeit, dass es Hindernisse bei der Einreise in ein EU -Land gab, war gering.
Dass es einen ausgedehnten Handel mit Ausweispapieren gab, nutzte in Karolinas Fall allerdings wenig, denn die Pässe, die er auf dem Schwarzmarkt bekommen konnte, gehörten in aller Regel nicht schwedischen Bürgern mit aschblondem Haar und blauen Augen, sondern Personen, die ursprünglich aus anderen Ländern stammten. Und so war der Mann zu dem Schluss gekommen, dass es für sie nur eine Lösung gab: Er musste versuchen, in der Stadt eine Touristin ausfindig zu machen, die zumindest vage an Karolina erinnerte, und ihr den Pass entwenden.
Als sie diesen gestohlenen Pass in die Hand bekam, betrachtete sie entsetzt das Bild.
» Sie können das Land ohnehin nicht ohne Verkleidung verlassen«, sagte er, als er sah, wie ihr Mut sank. » Man wird am Flughafen Ausschau nach Ihnen halten. Färben Sie sich die Haare, ändern Sie die Frisur, und besorgen Sie sich eine Brille. Dann haben Sie zumindest den Hauch einer Chance.«
Als wäre sie eine aufgezogene Puppe, hatte sie all das getan. Sie hatte sich die Haare geschnitten und gefärbt. Dann hatte sie sich apathisch auf die Bettkante gesetzt und war dort mehrere Stunden lang sitzen geblieben. Nun hatte sie auch noch ihr Aussehen verloren, und das immer noch, ohne wirklich zu wissen, warum.
Eine Stunde später stand sie mit dem gestohlenen Pass in der Tasche am Flughafen und spürte, wie ihr Puls schneller schlug, als sie sich dem Sicherheitsbereich näherte. Der Flughafen war voll uniformierter Polizisten, und Karolina musste sich zusammenreißen, zu keinem von ihnen Blickkontakt aufzunehmen. Als sie endlich an ihrem Gate saß, sank ihr Puls ein wenig, und die Trauer bemächtigte sich ihrer erneut.
geklaut von homieray oder fourty9ers (:----
Ich habe alles verloren, erkannte sie mit einem Gefühl der Leere. Meine Identität, mein Leben, meine Handlungs- und Bewegungsfreiheit. Und vor allem: meine Familie. Ich habe nichts und niemanden mehr, zu dem ich nach Hause kommen kann. Verflucht sei, der mir das angetan hat.
Als sie eine halbe Stunde später in ihren Flugzeugsitz sank und den Sicherheitsgurt schloss, war sie so müde, dass sie nicht einmal mehr weinen konnte.
Die Flucht war kalt und stumm geworden. Und sie selbst jenseits aller Rettung.
Ich bin zur Unperson geworden. Ich bin jemand, den niemand mehr kennt.
Sie ließ den Kopf auf die Lehne zurücksinken und dachte noch einen letzten Gedanken: Gott, steh mir bei, wenn ich den finde, der das getan hat. Denn ich weiß nicht, wozu ich dann fähig bin. Dann schloss sie die Augen und schlief ein.
In einem anderen Teil der Welt, sehr viel näher an Schweden, machte sich Johanna Ahlbin bereit, das Flugzeug nach Stockholm zu besteigen. Sie wusste nicht, dass ihre Schwester in einem anderen Flugzeug zum selben Ziel unterwegs war.
Das Heimweh wurde stärker, wenn sie die Augen schloss und an ihren Geliebten dachte. Er hatte geschworen, sie nie zu verlassen. Er meinte wohl, er wäre der Stärkere von ihnen beiden, doch in Wirklichkeit war er ihr doch unterlegen.
Der einzige Mann, den sie jemals an sich hatte herankommen lassen, der Einzige, der selbst gezeichnet genug war, um ihr Geheimnis mitzutragen, ohne sich davon abschrecken zu lassen.
Kurz bevor sie durch den Lautsprecher die Aufforderung hörte, den Sicherheitsgurt zu schließen, fasste sie einen Beschluss. Sie würde augenblicklich die Polizei anrufen und mitteilen, dass sie auf dem Weg nach Hause war.
Sie wählte die Nummer der Polizeizentrale und bat, mit dem Mann verbunden zu werden, der auf der Pressekonferenz, die sie vor ein paar Stunden am Fernseher hatte verfolgen können, gesprochen hatte.
» Alex Recht«, sagte sie, » ich möchte bitte sofort
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