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Tausendschön

Tausendschön

Titel: Tausendschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ohlsson
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» Falls ich das bisher noch nicht deutlich gesagt habe: Ich werde dich vermissen, wenn dein Mutterschutz anfängt.« Als wäre das eine Sache, die er dringend hätte sagen müssen, ehe er den Einsatzwagen bestieg und das Haus verließ.
    Aus irgendeinem Grund schossen Fredrika die Tränen in die Augen, und sie musste erst wieder zu sich finden, ehe sie zu Elsie Ljung zurückging.
    » So«, sagte sie und stellte das Wasserglas ab, » warum sind Sie heute Abend zu uns gekommen?«
    Wie alle guten Erzähler konnte Elsie Ljung auf ein fantastisches Detailgedächtnis zurückgreifen, als sie Fredrika ihre Geschichte eröffnete.
    » Wir sind an jenem Mittsommerabend nach Ekerö rausgefahren, um sie zu überraschen«, berichtete sie leise, aber mit fester Stimme. » Marja und Jakob hatten zwar erzählt, dass sie immer nur mit der engsten Familie feierten, aber unsere eigenen Pläne hatten sich in dem Jahr kurzfristig zerschlagen, und die Jungs waren doch so gern mit den beiden Mädchen zusammen, dass wir rundheraus davon ausgingen, willkommen zu sein.«
    Tatsächlich war der Abend eine Überraschung geworden, und Elsies Erinnerungen daran waren gestochen scharf.
    » Als wir spät am Abend wieder nach Hause fuhren, wussten wir Dinge über das Leben von Jakob und Marja, die wir zuvor nicht einmal im Entferntesten geahnt hatten. Wir hatten keinen Schimmer gehabt, dass Jakob Flüchtlinge versteckte, und von seiner Krankheit wussten wir bis dahin auch nichts. Es war Marjas Entscheidung, weder einen Arzt noch die Polizei zu rufen. Sie meinte, wenn die Mädchen nur aus dem Sommerhaus hinauskämen, wäre es eine Frage der Zeit, bis die Wunden verheilt und alle Erinnerungen verwischt wären. Wie krank …«
    Elsie Ljung sah zornig aus, und Fredrika merkte, wie auch in ihr die Wut aufstieg. Doch sie hatte gelernt, andere Menschen nicht allzu schnell zu verurteilen. Denn wer wusste schon, welche Erfahrungen Marja Ahlbin dazu gebracht hatten, sich derart zu verhalten?
    » Aber es war doch nur eines der beiden Mädchen … betroffen«, begann Fredrika. Elsie Ljung hatte von beiden Schwestern gesprochen.
    » Wie man es sieht«, erklärte Elsie Ljung nüchtern. » Natürlich war Karolina, rein physisch, die Verletzte. Aber Johanna war so unglaublich wütend! Es war, als würde ihre Welt einstürzen, als sie erkennen musste, dass ihre Eltern nicht willens waren, noch drastischere Maßnahmen zu ergreifen, als lediglich die Flüchtlinge so schnell wie möglich aus dem Haus zu bekommen und dann in die Stadt zurückzureisen.«
    Fredrika schluckte. » Das heißt, Karolina war diejenige, die vergewaltigt wurde.«
    » Ja, so war es«, nickte Elsie Ljung. » Später, als sie erwachsen wurde und sich in Måns verliebte, führten wir viele vertraute Gespräche darüber, was an jenem Abend geschehen war.« Als sie die Zeit beschrieb, in der Karolina wie eine Schwiegertochter bei ihr und Sven ein und aus gegangen war, sah sie sehr traurig aus. » Karolina konnte sich sehr gut ausdrücken«, sagte Elsie Ljung mit Tränen in den Augen. » Als Kind hatte sie die Kellergäste, wie ihre Eltern die Flüchtlinge nannten, nie leiden mögen, und in den ersten Jahren nach der Vergewaltigung empfand sie einen brennenden Hass gegen jeden Ausländer, den sie zu Gesicht bekam. Doch dann geschah etwas, das alles veränderte.« Elsie Ljung sah unsicher aus. » Sie müssen sagen, wenn ich hier Dinge erzähle, die Sie schon wissen.«
    » Ich höre gerne zu«, erwiderte Fredrika und rechnete im Stillen, wie viele Minuten Alex wohl noch von Ekerö entfernt war.
    » Kurz nachdem sie den Führerschein gemacht hatte, hatte Karolina einen Unfall«, begann Elsie. » Sie war zu Besuch bei Verwandten in Skåne, und ihr Auto geriet ins Schleudern, als sie über eine überfrorene Brücke fuhr. Das Auto durchstieß das Brückengeländer und stürzte in den Fluss. Sie wäre da nie lebend rausgekommen, wenn sich nicht ein junger Mann, der das Unglück mit angesehen hatte, ins Wasser gestürzt und wie ein Verrückter an der Tür gerissen und sie herausgeholt hätte.«
    » Und dieser Mann war Ausländer?«
    Elsie Ljung lächelte unter Tränen. » Palästinenser. Nach diesem Erlebnis änderte sich Karolinas Einstellung. Sie versöhnte sich mit der Erinnerung an jenen Sommer und ergriff Partei für ihren Vater, vielleicht auch weil sie so viele Jahre nichts unversucht gelassen hatte, um ihm zu demonstrieren, wie sehr sie ihn hasste und wie viel Schuld sie ihm zuschrieb. Und Sie können

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