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Tausendschön

Tausendschön

Titel: Tausendschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ohlsson
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leer, und noch ehe er die Jacke ausgezogen hatte, fröstelte Alex für einen Augenblick. Joar behielt seine Jacke an.
    » Es tut mir leid, dass es hier so kalt ist«, sagte Vinterman mit einem Seufzen. » Wir versuchen seit Jahren erfolglos, die Heizung für dieses Gebäude in den Griff zu kriegen. Kaffee?«
    Beide Männer nahmen das warme Getränk dankend an.
    » Lassen Sie mich Ihnen erst einmal mein Beileid aussprechen«, eröffnete Alex vorsichtig das Gespräch.
    Vinterman blickte zu Boden und nickte langsam. » Ein ungeheurer Verlust für die Gemeinde«, sagte er leise. » Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir uns in nächster Zukunft davon erholen sollen. Das bedeutet für uns alle ein schweres Stück Trauerarbeit.«
    Die Haltung des Mannes und seine Stimme ließen Alex instinktiv Vertrauen fassen.
    Vinterman fuhr sich mit der Hand durch das dichte, dunkelbraune Haar. » Hier in der Kirche pflegt man die Ansicht, dass man immer auf das Beste hoffen und auf das Schlimmste vorbereitet sein soll: Hope for the best, prepare for the worst, wie die Amis sagen. Aber dafür müsste man sich auch im Klaren darüber sein, wie denn das Schlimmste aussehen könnte.« Er hielt kurz inne und griff nach der Kaffeetasse. » Und ich fürchte, dass viele von uns Mitarbeitern und viele Gemeindemitglieder genau das nicht getan haben.«
    Alex runzelte die Stirn. » Ich weiß nicht, ob ich Sie verstehe.«
    Ragnar Vinterman richtete sich auf. » Wir alle kannten Jakobs gesundheitliche Probleme.« Er sah Alex direkt in die Augen. » Wir alle. Aber es gab nur sehr wenige unter uns, die wussten, wie schlecht es ihm von Zeit zu Zeit wirklich ging. Zum Beispiel wusste nur eine Handvoll Mitarbeiter, dass er schon mehrmals in Elektroschockbehandlung war. Wenn er im Krankenhaus lag, war die Sprachregelung normalerweise: in Reha oder auf Erholungsreise. So war es ihm lieber.«
    » Fürchtete er, für schwach gehalten zu werden?«, fragte Joar.
    Vinterman wandte ihm den Blick zu. » Das glaube ich nicht.« Er lehnte sich ein klein wenig zurück. » Aber wie wir alle wusste natürlich auch er selbst, wie viele Vorurteile es gegenüber der Krankheit gab, unter der er litt.«
    » Wir haben gehört, dass er schon lange krank war«, sagte Alex und ärgerte sich insgeheim darüber, dass sie Jakobs Arzt immer noch nicht erreicht hatten.
    » Seit Jahrzehnten«, seufzte der Pfarrer. » Eigentlich seit seiner Jugend. Zum Glück hat die Medizin im Lauf der Zeit deutliche Fortschritte gemacht. Ich hatte den Eindruck, dass die ersten Jahre nicht sonderlich lustig für ihn gewesen waren. Seine Mutter war übrigens offenbar ebenfalls betroffen.«
    » Lebt sie noch?«, hakte Joar nach.
    » Nein«, antwortete der Pfarrer und nahm einen Schluck Kaffee. » Sie beging Selbstmord, als Jakob vierzehn war. Damals beschloss er, Pfarrer zu werden.«
    Alex schauderte es. Manche Probleme schienen wie Staffelhölzer von einer Generation an die nächste weitergegeben zu werden.
    » Was meinen Sie eigentlich, was gestern Abend geschehen ist?«, fragte er bedächtig und suchte den Blick des Pfarrers.
    » Sie meinen, ob ich glaube, dass Jakob es getan hat? Ob er Marja und dann sich selbst erschossen hat?«
    Alex nickte.
    Vinterman schluckte ein paarmal und sah an Alex und Joar vorbei durchs Fenster auf den Schnee, der draußen Bäume und Erde bedeckte. » Ich fürchte, dass es genau so war.«
    Als würde ihm jetzt erst klar, wie schrecklich unbequem er saß, richtete er sich auf und schlug die Beine übereinander. Seine großen Hände ruhten auf dem Schoß. Der einzige Laut, den man hörte, stammte von Joars Stift, der über die schon halb vollgeschriebene Seite des Notizblocks wanderte.
    » Er war in den letzten Tagen in furchtbar schlechter Verfassung«, fuhr Ragnar Vinterman mit angestrengter Stimme fort. » Und jetzt bereue ich, ja, ich bereue von Herzen, dass ich nicht Alarm geschlagen und es wenigstens Marja erzählt habe.«
    » Was denn?«, fragte Alex.
    » Die Sache mit Karolina.« Vinterman beugte sich über den Tisch und ließ den Kopf ein Weilchen in den Händen ruhen. » Die kleine Lina, die auf die schiefe Bahn geraten war.«
    Alex merkte, dass Joar aufhörte zu schreiben.
    » Kannten Sie sie gut?«, fragte er.
    » Früher, als sie noch jünger war«, führte Vinterman aus. » Aber Jakob hielt mich immer auf dem Laufenden. Darüber, wie sie lebte, über ihre Drogenkarriere und die Versuche, da rauszukommen …« Er schüttelte den Kopf. » Eigentlich hat Jakob

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