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Tausendschön

Tausendschön

Titel: Tausendschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ohlsson
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erst vor ungefähr einem Jahr wirklich begriffen, was ihr Problem war. Sie hatte immer so enorm hohe Ansprüche an sich selbst, und als sie dann während des Studiums nicht die Leistung erbringen konnte, die sie sich selbst abverlangte, hat sie angefangen, Drogen zu nehmen. Erst um mehr zu schaffen und besser zu sein, aber dann wurde die Sucht nur zu einem weiteren Problem für sie.«
    » Aber ihre Mutter, Marja Ahlbin, muss doch auch davon gewusst haben«, meinte Alex verständnislos.
    » Natürlich«, sagte Vinterman. » Aber das Mädchen stand dem Vater viel näher. Somit war er es auch, der das ganze Bild kannte. Und weil sie noch andere Probleme im Leben hatten, beschloss er, Marja nicht über jedes Detail aus dem Leben der Tochter zu informieren.«
    » Irgendetwas muss sie doch gemerkt haben«, sagte Joar. » Soweit ich es verstanden habe, war Karolina einige Jahre lang schwer drogenabhängig.«
    » Ja, so war es«, erwiderte Vinterman mit Schärfe in der Stimme. » Aber mit ein wenig Disziplin kann man so etwas von jemandem, der es ohnehin nicht fertigbringt, genau hinzuschauen, ganz gut fernhalten.«
    » Wollen Sie damit sagen, dass Marja die Probleme der Tochter lieber ignorierte?«, fragte Alex.
    » Ja, genau das will ich sagen. Aber um ehrlich zu sein, finde ich das noch nicht einmal verwerflich. Jakobs Krankheit hat es den beiden viele Jahre lang wirklich schwer gemacht, und dann kamen auch noch die Probleme der Tochter dazu. Wahrscheinlich fehlte ihr einfach die Kraft. So ist das manchmal.«
    Alex, der selbst zwei Kinder hatte, konnte sich nicht recht dazu durchringen, dem Pfarrer zuzustimmen. Andererseits hatte er nicht die leiseste Ahnung, wie es wohl wäre, mit jemandem zusammenzuleben, der schwer depressiv war. Die Leidensfähigkeit eines jeden Menschen hatte nun einmal eine natürliche Grenze. In dieser Hinsicht hatte Ragnar Vinterman ganz sicher recht.
    » Jakob hat am Sonntagabend vom Tod der Tochter erfahren«, fuhr Ragnar Vinterman fort. » Kurz darauf rief er mich an. Er war bestürzt und völlig verzweifelt.«
    » Wer hat ihm denn die Nachricht überbracht?«, fragte Alex.
    Einen Moment lang sah der andere verwirrt aus. » Das weiß ich nicht. Ist das wichtig?«
    » Wahrscheinlich nicht«, sagte Alex, wollte es aber doch gern wissen.
    Joar wurde unruhig. » Und er hat seiner Frau wirklich nichts davon gesagt?«
    Vinterman biss sich auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. » Kein Wort. Und er flehte mich an, ihr auch nichts zu sagen. Er meinte, er wolle erst selbst die Bedeutung dessen, was geschehen war, begreifen können, ehe er Marja davon erzählte. Ich sah keinen Grund, ihm die Bitte abzuschlagen, und gab ihm Zeit bis Donnerstag, also bis heute.«
    » Bis heute?«, echote Alex.
    Der Pfarrer nickte.
    » Heute hätte Marja an einer Sitzung hier in der Gemeinde teilnehmen sollen, und wenn Jakob ihr bis dahin nichts erzählt hätte, dann hätte ich es auf mich genommen. Sie musste es schließlich erfahren.«
    Die Gedanken kreisten in Alex’ Kopf, und langsam begann ein Bild Form anzunehmen. » Haben Sie mit ihm danach noch einmal gesprochen, oder war es das letzte Mal, dass er von sich hören ließ?«
    » Wir haben danach noch ein Mal telefoniert«, sagte Vinterman merklich angespannt, » und zwar gestern. Er klang seltsam erleichtert und sagte, er würde Marja am Abend alles erzählen, und dann würde alles gut werden.«
    Er holte tief Luft, als wäre er kurz davor, in Tränen auszubrechen.
    » Dann würde alles gut werden«, wiederholte er mit belegter Stimme. » Da hätte ich es begreifen müssen … Ich hätte etwas tun müssen. Aber das habe ich nicht. Gar nichts habe ich getan.«
    » Das ist ganz normal«, sagte Joar mit einer so sachlichen Stimme, dass sowohl der Pfarrer als auch Alex ihn anstarrten. Joar legte den Stift weg und schob den Notizblock von sich. » Wir glauben, in allen Situationen so rational und vernünftig zu sein, wie wir nur können, doch leider funktioniert der Mensch nicht so. Wir können nun mal keine Gedanken lesen. Wir können lediglich im Nachhinein, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen, ahnen, wie wir hätten handeln sollen. Und dann stellen wir uns selbst infrage. Unnötigerweise.« Er schüttelte den Kopf. » Glauben Sie mir, Ihnen fehlte das entscheidende Wissen. Erst jetzt im Nachhinein bilden Sie sich ein, es gehabt zu haben.«
    Alex sah seinen jüngeren Kollegen erstaunt an.
    Wir wissen so wenig voneinander, dachte er.
    Stattdessen sagte er: »

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