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Tausendschön

Tausendschön

Titel: Tausendschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ohlsson
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antwortete, niemand hatte etwas Neues beizutragen. Alex ließ den Blick in der Runde schweifen.
    » Sonst noch etwas?«, fragte er.
    Fredrika hob die eine Hand.
    » Ja?«
    » Ich habe neue Informationen über den unbekannten Mann, der vor der Uni überfahren wurde«, sagte sie.
    » Aha«, meinte Alex, » erzähl!«
    » Es scheint ganz so, als sei er ermordet worden«, sagte Fredrika. » Er wurde nämlich nicht nur angefahren, sondern anschließend auch noch überfahren.«
    Alex stöhnte. » Hör bloß auf! Das hat uns gerade noch gefehlt – ein weiterer Mordfall.«
    Nachdem sie das Büro verlassen hatte, hatte Fredrika versucht, Spencer zu erreichen, doch er war nicht ans Telefon gegangen, was sie beunruhigte. Ihr Bedürfnis, seine Stimme zu hören, wuchs von Tag zu Tag, vor allem wenn es auf den Abend zuging und die nunmehr so gefürchtete Nacht dräute. Wie konnte mein Leben nur diese Wendung nehmen?, überlegte sie wohl zum tausendsten Mal. Wie konnten nur alle meine Träume und Pläne mich an diese elende Kreuzung im Leben führen?
    Die Antwort war immer die gleiche, so auch an diesem Abend. Es war Jahrzehnte her, dass sie zuletzt wirklich einmal von ihren innersten Träumen geleitet worden war. Seither hatte sie stets mit Notlösungen gearbeitet und sich mit zweitbesten Entscheidungen zufriedengeben müssen.
    So wie ich wird man, wenn man der freien Wahl beraubt wird, stellte sie erschöpft fest. Ich bin der klägliche Rest, der nach einem elenden, verdammten Unglück übrig geblieben ist.
    Und damit war es wieder in ihren Gedanken, das Unglück. Der Wendepunkt schlechthin.
    Sie hatte schon sehr früh im Leben entschieden, dass sie Geigerin werden wollte. Musik war der natürliche Rahmen in ihrer Familie gewesen, Fredrika und ihr Bruder waren im Grunde in den Kulissen verschiedener großer Bühnen aufgewachsen, wo sie gemeinsam mit ihrem Vater die Konzerte und Auftritte ihrer Mutter abgewartet hatten.
    » Hört ihr Mama spielen?«, hatte der Vater oft geflüstert, und seine Augen hatten vor Stolz geglänzt. » Seht ihr, wie sie für das lebt, was sie tut?«
    Damals war Fredrika noch zu jung gewesen, um zu begreifen, was ihr Vater da sagte, doch später im Leben hatte sie seine Formulierung durchaus infrage gestellt. Für das zu leben, was man tat – konnte das richtig sein?
    Und welche Träume und Visionen hatte eigentlich ihr Vater gehabt? Hatte er womöglich kein höheres Ziel im Leben gehabt, als seine Ehefrau durch die Welt zu begleiten und zu sehen, wie sie vor einem Publikum nach dem anderen brillierte? Natürlich hatte sich alles verändert, als die Kinder zur Schule kamen. Die Mutter hatte weniger Konzerte im Ausland angenommen, und zum ersten Mal hatten die Kinder auch ihren Vater klarer gesehen: Er hatte einen Job, bei dem man einen Anzug tragen musste. Er verkaufte Sachen, und das wohl ziemlich erfolgreich, denn sie waren gut gestellt.
    Fredrika hatte schon im Alter von sechs Jahren Geigenunterricht bekommen – womöglich ihre erste Begegnung mit dem Phänomen, das man Liebe auf den ersten Blick nannte. Sie liebte sowohl die Geige als auch ihren Lehrer, der sie für eine begabte Schülerin hielt. Er blieb ihr Lehrer bis zu jenem verfluchten Unglück. Und er blieb auch während der Rekonvaleszenz an ihrer Seite, ermunterte sie und beteuerte, es gebe eine Chance, dass ihr Spiel wieder dasjenige würde, das es zuvor gewesen war.
    Aber er hat sich getäuscht, dachte Fredrika und schloss für einen kurzen Moment die Augen.
    Obwohl so viele Jahre vergangen waren, konnte sie die Erinnerungsbilder noch immer leicht heraufbeschwören. Das Auto, das ins Rutschen geriet, schleuderte und flog. Der harte Boden. Die Skier, die aus dem Dachkoffer fielen. Die Freundin, die gar nicht mehr aufhören wollte zu schreien, als sie das zerschmetterte Gesicht ihrer Mutter am Autofenster sah. Und der verzweifelte Kampf der Feuerwehrleute: » Das Auto kann jeden Moment explodieren, wir müssen sie so schnell wie möglich rausholen!«
    An manchen Tagen fand Fredrika, dass man sie ruhig einfach im Auto hätte liegen lassen können, denn das Leben, das danach gekommen war, war nicht lebenswert gewesen. Ihr linker Arm war so schwer verletzt gewesen, dass er nie richtig wiederhergestellt werden konnte, und das, obwohl sie es so oft versucht hatten, obwohl der Arm am Ende das Einzige war, worum alles kreiste.
    » Sie werden problemlos wieder ein paar Stunden in der Woche spielen können«, sagte der Arzt, der ihr letztendlich das

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