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Tausendschön

Tausendschön

Titel: Tausendschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ohlsson
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Alex bekam Magenschmerzen, als die Angst sein Inneres packte und die Dämonen in ihm wieder zum Leben erwachten.
    Wir sollten über das hier reden können, dachte er. Warum tun wir es nicht?
    » Hattest du einen guten Tag im Büro?«, fragte sie in die Stille hinein.
    » Doch«, sagte Alex nachdenklich, » es war gut. Viel zu tun.«
    Normalerweise pflegte sie den Faden aufzugreifen und weiterzufragen. Doch nicht zurzeit.
    » Und wie war dein Tag?«, fragte Alex.
    » Auch gut«, antwortete sie und machte den Ofen auf, um was immer darin stand anzusehen.
    Es duftete fantastisch, aber Alex hatte keinen Hunger. Er stellte noch ein paar Fragen über ihre Arbeit, und sie antwortete wortkarg und mit abwesendem Blick.
    Als sie sich schließlich hinsetzten, um das gute Essen und den feinen Wein zu genießen, musste er sich zwingen zu schlucken.
    » Zum Wohl«, sagte sie.
    » Zum Wohl.«
    Als er aufsah und ihr in die Augen blickte, hätte er schwören können, dass sie den Tränen nahe war.

Freitag, 29. Februar 2008

Es war Morgen, und in der Wohnung war es eiskalt. Der Zigarettengestank war nicht mehr ganz so schlimm, weil man ihm sowohl den Ventilator repariert als auch einen Schlüssel zu einem der kleineren Fenster gegeben hatte. Es ging auf Mittag zu, aber Ali wollte nicht aufstehen. Die Tasche lag wie eine widrige und aufmüpfige Erinnerung an seine neue Wirklichkeit am Fußende des Bettes.
    Er wusste nicht, wen er für sein Unglück verfluchen sollte. Die Eltern, die ihn in ein Land wie den Irak hineingeboren hatten? Den amerikanischen Präsidenten, den sie alle hassten, der den großen Führer Saddam getötet und dann das Volk im Stich gelassen hatte, als das Land zusammenbrach? Oder vielleicht Europa, das sich weigerte, ihn unter anderen Bedingungen als denen, die ihm jetzt gestellt worden waren, einzulassen?
    Wie er es auch drehte und wendete, er konnte nicht einsehen, dass es seine eigene Schuld sein sollte. Weder hatte er den verdammten Krieg angefangen noch seine Arbeitslosigkeit – seine Hilflosigkeit – selbst herbeigeführt. Tatsächlich hatte er schlichtweg die Verantwortung als Mann und Vater, der er war, übernommen.
    » Ich hatte keine Wahl«, murmelte er und starrte zu dem Riss in der Decke hinauf. » Ich hatte noch nie eine Wahl.«
    Seine Frau fragte sich sicher, wo er war. Und auch sein Freund, der immer noch nichts von ihm gehört hatte, würde sich wundern. Er sah zu dem zugigen Fenster hinüber. Irgendwo da draußen war er, sein Freund. In einer Stadt, die er nicht kannte, in einem Land, in dem er ein Fremder war. Dort sollten sie von Neuem beginnen, er und die Familie. Um ihretwillen gedachte er am Sonntag seinen Auftrag auszuführen. Dann würde er in Zukunft nie wieder etwas Derartiges tun. Solange er lebte.
    » Es gibt gewisse Grundregeln, mein Junge«, hatte sein Vater ihm gesagt, als er noch ein Kind war. » Man schlägt sich nicht, und man stiehlt nicht. Ganz einfach, oder?«
    Sein Vater hatte es geschafft zu sterben, ehe der Irak als Staat und als Nation kollabierte und der Alltag im Chaos versank. Vielleicht hätte er ja verstanden, dass es ihm jetzt unmöglich war, sich an die Regeln zu halten. Nicht dass es vorher so viel besser gewesen wäre. Es war höchstens ruhiger gewesen und nur auf den ersten Blick sicherer. Viele seiner Landsleute wussten, wie es war, wenn die Autos früh am Morgen vor dem Haus hielten und der Hausfrieden von unbekannten, bewaffneten Männern verletzt und gebrochen wurde, die im Auftrag ihrer Regierung ausgeschickt worden waren, um einen Mitbürger zum Verhör zu holen. Von manchen von ihnen hörte man nie wieder etwas. Andere wurden in einem Zustand zu ihren Familien zurückgebracht, der von so widerwärtigen Grausamkeiten zeugte, dass man nicht einmal innerhalb der engsten Familie darüber zu sprechen wagte.
    Doch der Irak hatte sich verändert. Die Gewalt kam jetzt aus einer anderen Richtung, schuf eine noch größere Unsicherheit. Geld war auf eine Art und Weise wichtig geworden, wie es das vorher nicht gewesen war, und Entführungen, Diebstahl, Brandstiftung und Raubmord waren auf einmal Teil des Alltags.
    War er jetzt genau so ein Mensch geworden? Mit einer Waffe und einer Maske in der Tasche neben dem Bett? Der Vergleich lag nahe.
    Wir konnten einfach nicht mehr, dachte Ali. Verzeih mir, Papa, was ich jetzt bald tun werde, aber wir konnten einfach nicht mehr.
    Dann streckte er eine zitternde Hand nach der achtzehnten Zigarette des Morgens aus. Bald würde

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