Tausendschön
Die jüngste Tochter, die von den Familienfotos verschwunden war.
» Soll das heißen, dass Johanna ihrem Vater wegen der Vorträge den Rücken gekehrt hat?«, fragte Alex.
» Nein, wenn ich es richtig verstanden habe, dann war das schon früher geschehen. Sie teilte die Meinung des Vaters in dieser Sache grundsätzlich nicht, und das führte immer wieder zu Streit.«
» Wir haben die Information erhalten, dass Johanna in gewisser Weise Abstand von der Familie genommen hat, weil sie deren religiöse Überzeugung nicht teilte«, warf Peder ein.
» Was selbstverständlich auch ein Problem war«, bekräftigte Erik Sundelius. » Deshalb war es umso erfreulicher für Jakob, dass die ältere Tochter, Karolina, mit ganzem Herzen sowohl das Flüchtlingsengagement als auch den Glauben der Eltern unterstützte, wenn auch nicht mit der gleichen kompromisslosen Hingabe wie sie. Jakob kam in unseren Gesprächen oft darauf zurück, welche Freude ihm Karolina bereitete.«
Alex zog die Augenbrauen hoch und spürte, wie Peder erstarrte.
» Aber muss man nicht davon ausgehen, dass für jemanden mit dem Krankheitsbild von Jakob Ahlbin die Beziehung zu Karolina eine Belastung darstellte?«, fragte er.
Der Psychiater runzelte die Stirn. » Wie meinen Sie das?«
» Ich denke da an ihr Drogenproblem.«
Erst sah Erik Sundelius aus, als ob er in Lachen ausbrechen wollte, dann verfinsterte sich seine Miene. » Drogenproblem? Karolina?« Er schüttelte den Kopf. » Unmöglich.«
» Leider nicht«, sagte Alex. » Wir haben sowohl den Obduktionsbericht als auch den Totenschein eingesehen. Ihr Körper war durch langjährigen Drogenmissbrauch schwer geschädigt.«
Erik Sundelius sah mit aufgerissenen Augen von Alex zu Peder. » Entschuldigung, aber wollen Sie damit sagen, dass sie tot ist?«
Offensichtlich hatte der Psychiater die Zeitungsartikel nicht sehr gründlich gelesen. Alex beschloss, ihn ins Bild zu setzen. Er erzählte von der Todesnachricht der ältesten Tochter, die der Grund dafür gewesen sein sollte, dass Ahlbin beschloss, sich und seine Ehefrau umzubringen. Und er erzählte vom Auffinden der Eheleute und von dem Brief, den Jakob geschrieben haben sollte.
Erik Sundelius saß schweigend da. Als er dann sprach, klang seine Stimme angestrengt, so als wäre er wütend – oder unendlich traurig. Und gleichzeitig sah er so aus, als wollte er jeden Moment anfangen zu lachen. » Okay«, begann er und legte die Hände auf den Schreibtisch. » Lassen Sie mich das mal eines nach dem anderen durchgehen. Kann ich zunächst vielleicht eine Kopie von dem Brief sehen, den Jakob hinterlassen haben soll?«
Alex nickte und nahm das Papier aus seiner Tasche. Es handelte sich um eine am Computer geschriebene Mitteilung mit Jakob Ahlbins Unterschrift.
Nachdem er den Zettel gelesen hatte, schob Erik Sundelius ihn von sich weg, als hätte er sich daran verbrannt.
» Die Unterschrift stammt von Jakob, doch auf den Rest gebe ich keinen Heller.«
Alex machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Sundelius hielt eine Hand hoch.
» Lassen Sie mich mal Klartext reden«, sagte er. » Jakob war viele Jahre lang mein Patient. Glauben Sie mir: Diesen Brief hat er nicht geschrieben. Er stimmt weder, was den Ton noch was den Inhalt angeht. Selbst wenn er wirklich vorgehabt hätte, das zu tun, was in dem Brief angedeutet wird, hätte er es niemals so formuliert. An wen richtet sich dieser Brief überhaupt? Es wird niemand angesprochen. Weder Johanna noch irgendein guter Freund. Nur leere Worte.« Er holte Luft. » Ich habe ja schon eingangs gesagt, dass Jakob so etwas nie getan hätte. Das müssen Sie mir glauben, sonst begehen Sie einen schlimmen Fehler.«
» Sie glauben also nicht einmal, dass er es getan hätte, nachdem er die Nachricht vom Tod der Tochter erhielt?«
Jetzt konnte Erik Sundelius nicht mehr an sich halten, und er brach in das Lachen aus, das schon so lange auf seinem Gesicht Versteck gespielt hatte. » Das ist doch alles absurd!« Er griff noch einmal nach dem Brief und sah aus, als müsse er sich zusammenreißen. » Wenn Jakob eine solche Todesnachricht erhalten hätte, dann hätte er seiner Frau diese Information niemals vorenthalten. Und er wäre zu mir gekommen. Das tat er immer, wenn in seiner Umgebung Dinge geschahen, die seinen seelischen Zustand beeinträchtigten. Immer. Ich möchte behaupten, dass sein Vertrauen zu mir in dieser Hinsicht uneingeschränkt war.«
» Sie reden so, als müsste man überhaupt infrage stellen,
Weitere Kostenlose Bücher