Tausendschön
etwas mehr Soße zu dem guten Fleisch. Dann lobte sie erneut den Wein, den ihr Vater ausgewählt hatte, begriff aber sofort, dass dies ein Fehler gewesen war, denn es erinnerte ihre Eltern wieder daran, dass sie Wein trank, obwohl sie schwanger war. Ihr Vater fragte, wie es bei der Arbeit lief, und sie sagte: Okay. Ihre Mutter wollte wissen, ob sie inzwischen nachts schlafen könne, und da antwortete sie: Manchmal, aber oft auch nicht.
» Du schläfst doch wohl nicht alle Nächte allein, oder?«, fragte ihre Mutter und schielte zu Spencer hinüber.
» Manchmal schon«, antwortete Fredrika ausweichend.
» Aha«, sagte ihre Mutter.
» Ach so«, sagte ihr Vater.
Und dann wurde es still. Stille konnte ebenso eine Wohltat sein wie ein Fluch, das hing immer von den Umständen ab. Hier gab es keinen Zweifel: Das wortkarge Abendessen wurde zur Katastrophe.
Fredrika konnte nicht anders, als frustriert zu sein. Was hatten ihre Eltern bloß erwartet? Sie wussten, dass Spencer verheiratet war, sie wussten, dass sie oft allein war, sie wussten, dass sie das Kind größtenteils allein aufziehen würde. Man konnte das Arrangement gelinde unkonventionell nennen, doch gleichzeitig war es wohl kaum der einzige unorthodoxe Einschlag in der Familie.
Spencer stellte ein paar höfliche Fragen zu den musikalischen Interessen von Fredrikas Mutter, und die Stimmung am Tisch wurde ein wenig freundlicher. Ihr Vater ging in die Küche und holte Kartoffeln, und ihre Mutter legte eine neue Platte auf, die sie vor einiger Zeit in einem Secondhandladen gekauft hatte.
» Vinyl«, sagte sie. » Ich finde, es gibt nichts Besseres.«
» Da sind wir einer Meinung«, sagte Spencer. » Es würde mir nie in den Sinn kommen, eine CD zu kaufen.«
Fredrikas Mutter lächelte, und diesmal spiegelte sich das Lächeln auch in ihren Augen wider. Ein Gefühl der Ruhe machte sich in Fredrika breit. Das Eis war gebrochen, endlich. Die Temperatur stieg. Von ihrem Vater, der sich mit seinem gleichaltrigen Schwiegersohn etwas schwerer tat, war ein Räuspern zu hören: » Noch ein wenig Wein vielleicht?« Es klang fast flehentlich.
Das Gespräch ging weiter, und langsam fiel es allen, auch ihrem Vater, leichter zu reden.
Fredrika wollte, sie könnte mehr Wein trinken. Irgendwo da draußen war ein Mörder auf freiem Fuß, und sie hatten überhaupt kein Gefühl dafür, ob sein Auftrag ausgeführt war oder ob der Mord an Jakob und Marja Ahlbin nur Teil einer sehr viel größeren Sache war.
Ihre Gedanken wanderten zu Johanna, die inzwischen aus den Medien vom Mord an ihren Eltern erfahren haben musste. Und dann zu Karolina, die Elsie Ljung Lazarus genannt hatte.
Morgen ruhe ich mich aus, dachte Fredrika, aber am Montag kümmere ich mich als Allererstes darum. Wenn Karolina Ahlbin lebt, warum lässt sie dann nichts von sich hören?
Ein Gedanke zuckte vorüber. Zwei Schwestern. Die eine bestätigt den Tod der anderen und verlässt daraufhin das Land.
Oh, zum Teufel. Konnte es so einfach und gleichzeitig so traurig sein? Konnte eine von beiden die Mörderin gewesen sein, der die Polizei auf der Spur war? War eine von ihnen die Strippenzieherin, die mit unvergleichlicher Präzision die Geschehnisse lenkte?
Der Gedanke ließ sie schwindeln, und Fredrika wurde klar, dass sie zu drastischen Mitteln greifen musste, wenn sie heute Abend nicht wach liegen und über den Mord an Jakob und Marja Ahlbin nachdenken wollte.
Vielleicht sollte sie wieder die Geige hervorholen. Es würde ihr Seelenfrieden schenken, kurz zu spielen. Nur kurz. Alles andere wäre Zeitverschwendung.
Schweigend nahm sie den letzten Schluck Wein aus ihrem Glas.
Die Zeit läuft uns davon, dachte sie. Wir müssen es wagen, in unseren Ermittlungen eine neue Richtung einzuschlagen. Wir müssen Johanna finden. So schnell wie möglich.
Sonntag, 2. März 2008
Bangkok
Die Wohnung war klein und furchtbar heiß. Die Sonne wurde von dicken Gardinen, die wahrscheinlich vor neugierigen Blicken schützen sollten, draußen gehalten. Als könnte jemand in eine Wohnung im fünften Stock hineinsehen.
Sie wanderte unruhig zwischen dem kleinen Wohnzimmer und der Küche hin und her. Das Wasser war zur Neige gegangen, doch sie wagte weder rauszugehen und neues zu kaufen noch direkt aus dem Wasserhahn zu trinken. Die Schlaflosigkeit und der Wassermangel machten ihr zu schaffen und waren nahe daran, sie über den Grat zu zwingen, auf dem sie, wie sie nur allzu deutlich spürte, stand und balancierte. Unter ihr tat
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