Tausendschön
findet, so etwas sollte in der Familie bleiben. Aber ich muss es trotzdem erzählen – die Familie Ahlbin gibt es ja kaum mehr … Einmal waren wir zu einem Abendessen bei Jakob und Marja eingeladen. Das war genau zu der Zeit, als Jakob anfing, davon zu reden, wieder Flüchtlinge verstecken zu wollen. Die Töchter waren auch dabei. Als wir die Situation der Asylbewerber diskutierten, kam eine sehr unangenehme Stimmung auf.«
» Inwiefern?«
» Johanna hat sich sehr aufgeregt. Ich weiß nicht mehr, warum, wahrscheinlich hatte es mehrere Gründe. Sie fing jedenfalls an zu weinen und verließ den Tisch. Jakob schien ebenfalls sehr mitgenommen, aber er behielt solche Gefühle in aller Regel für sich.«
» Sie haben also nicht erfahren, was die Ursache des Konfliktes war?«
» Nein, leider nicht. Es schien sich um eine Sache zu handeln, die Jahre zurücklag. Johanna traf die Familie immerhin nur zu besonderen Gelegenheiten, und ich erinnere mich, dass sie so etwas sagte wie: ›Willst du wieder alles kaputt machen?‹ Ich habe allerdings keine Ahnung, was sie damit meinte. Wie könnte ich auch?« Elsie Ljung lachte angestrengt. » Auf jeden Fall geriet Sven an diesem Abend mit Jakob aneinander«, sagte sie abschließend.
Fredrika verlagerte ihren Schwerpunkt. Sie sehnte den Tag herbei, da das Kind geboren war und ihr Körper wieder ihr selbst gehörte.
Dann fiel ihr Blick auf Elsie Ljungs Hand, die ein Wasserglas umfasste. Die Hand zitterte, und um ihre Augen zuckte es.
Irgendetwas will sie erzählen, erkannte Fredrika. Sie beschloss abzuwarten. Als Elsie weiterhin schwieg, versuchte Fredrika, ihr auf die Sprünge zu helfen. » Sind Sie sicher, dass Sie nicht mehr wissen?«
Elsie presste den Mund zusammen und schüttelte den Kopf. Die Hand beruhigte sich.
» Wie war es denn mit der anderen Tochter, Karolina?«, fragte Fredrika stattdessen.
Elsie bekam feuchte Augen. » Ich bleibe dabei, es ist unmöglich, dass sie an einer Überdosis gestorben ist.«
Und doch war es so, stellte Fredrika fest. Was zum Teufel übersehen wir bei ihrem Tod?
» In den letzten Jahren hatten Sie doch nicht so viel miteinander zu tun«, versuchte sie. » Vielleicht haben Sie gerade in der Hinsicht irgendetwas verpasst?«
Elsie schüttelte den Kopf. » Nein«, sagte sie, » das haben wir nicht. Sie müssen wissen, dass Karolina einige Jahre lang mit unserem jüngsten Sohn, Måns, zusammen war.«
» Aber …«
» Ich weiß«, sagte Elsie, » davon haben wir nichts gesagt, als Sie letztes Mal hier waren. Aber es war so eine schwierige Geschichte … und wir hatten so große Erwartungen an diese Beziehung. Und als Sie hier waren, waren wir ohnehin völlig außer uns.«
» Verstehe.« Fredrika versuchte, nicht allzu verärgert zu klingen. Der Wille der Leute, selbst zu entscheiden, was wichtig war und was nicht, machte der Polizei oft viel mehr Probleme, als sie einzusehen schienen.
» Ihr Sohn und Karolina sind also nicht mehr zusammen?«
Elsie schüttelte den Kopf und begann zu weinen.
» Nein, leider nicht«, sagte sie. » Karolina kam mit all seinen Problemen nicht mehr klar, und dafür hatten wir volles Verständnis. Wir hatten uns einfach so sehr gewünscht, dass sie die Lösung für ihn sein könnte. Dass sie ihm die Kraft geben würde, sich frei zu machen.«
» Frei wovon?«
» Von den Drogen«, weinte Elsie. » Und deshalb weiß ich, dass Karolina solche Probleme nicht hatte. Stattdessen trug sie Måns’ Probleme wie ihr eigenes Kreuz – bis zu dem Tag, an dem sie einfach nicht mehr konnte. Da zog sie bei ihm aus und in eine eigene Wohnung. Ich vermisse sie, als wäre sie meine eigene Tochter. Wir beide vermissen sie.«
» Und Måns?«
» Als Karolina und er anfingen, sich zu treffen, ging es mit ihm wirklich bergauf. Er fing an zu arbeiten und sich um sich selbst zu kümmern. Aber dann … Wenn man einmal dieses verfluchte Gift im Körper hat, dann geht es nie wieder weg. Irgendwann ist er wieder abgerutscht. Heute ist er nur noch ein Schatten dessen, der er war, als das mit Karolina anfing. Nicht wiederzuerkennen.«
Fredrika wählte ihre Worte mit Bedacht. » Frau Ljung, wie wir es auch drehen und wenden: Karolina ist tot. Sie ist von ihrer eigenen Schwester identifiziert worden.«
» Dann müssen Sie sich Karolina wie Lazarus in der Bibel denken, den Jesus wieder zum Leben erweckte, nachdem er gestorben war«, sagte Elsie Ljung mit Bestimmtheit und zog ein Taschentuch aus der Tasche. » Denn ich weiß mit
Weitere Kostenlose Bücher