Tausendstern
»Trauerzeit?«
»Wo hast du in den letzten zwei Wochen gesteckt? Auf der anderen Seite der Galaxis? Morrows Frau ist von einem durchgehenden Drachen verletzt worden, den sie für gezähmt hielt. Man hat das Tier natürlich sofort getötet, aber sie war zu schwer verletzt; sie hat Euth genommen.«
»Euthanasie? Sie ist gestorben?«
»Erfolgreiche Euthanasie ist gewöhnlich tödlich, Bruder«, erklärte Jesse. Er nannte sie vor anderen niemals >Schwester<. »Einige Klons sind so rücksichtsvoll, solche Bitten zu erfüllen, anstatt in Urlaub zu gehen und sich irgendwo in der Ferne herumzutreiben.«
»Das war vielleicht ein Urlaub!« murmelte sie und schlug ihm auf eine maskuline Art auf die Schulter. Sie war glücklich, ihren Bruder gerettet zu haben und nicht zur Mörderin geworden zu sein, und sie wußte, daß auch er darüber glücklich war; das hob ihre Stimmung erheblich an. Sie hatte gespielt und gewonnen, zumindest in dieser Hinsicht.
Flowers kam vom Erfrischungsbüffet auf sie zu, so schnell es ihm seine vielen winzigen Füße erlaubten. Flowers nahm für seine Schutzbefohlenen sehr viel auf sich. Ohne seine Verschwiegenheit und seine Hilfe hätte Jessica ihren Transfer-Schwindel niemals durchführen können. Flowers hatte darauf bestanden, den freien Wirt zu Hause zu betreuen, so daß die Gesellschaft der Wirte keine Ahnung von dem Austausch hatte, und auch nicht von Jessicas Geschlecht. Wenn die Wahrheit herausgekommen wäre, hätte das Flowers seine Position gekostet, doch er hatte das Risiko auf sich genommen - um des Besitzes willen. Andere Klons hatten ihm von jeher sehr gute Bedingungen für seine Dienste geboten, doch er war diesem Besitz treu geblieben, und den Jess-Klons.
»Der Lord Morrow trauert um seine geliebte Frau, benötigt jedoch eine neue«, sagte Flowers ernst. »Sein Besitz ist groß, und sein Sohn noch ein Kind.«
»Er könnte doch ein Kindermädchen für ihn einstellen«, sagte Jessica. »Gott weiß, daß er dazu reich genug ist! Er braucht ganz gewiß nicht noch einen weiblichen Klon von dem ohnehin schon knappen Bestand nehmen.« Sie fühlte eine echte Empörung darüber.
»Lord Morrow ist kein sehr vernünftiger Mann«, erklärte Flowers mit einer für ihn typischen Untertreibung. Es gab Geschichten über Morrow, daß er während seiner jüngeren Tage wilde Drachen zähmte, als Gladiator an tödlichen Kämpfen teilnahm und seine Gegner besiegte, per Transfer durch den Cluster reiste, nur um des Abenteuers willen. Weder Vorsicht noch Kosten hatten ihn jemals davon abgehalten, das zu tun, was eine momentane Laune ihm diktierte, bis seine zierlich-kleine Ehefrau ihn um ihren kleinen Finger gewickelt hatte. Endlich war Morrows Schwäche enthüllt worden: er konnte der Frau, die er liebte, keinen Wunsch abschlagen. Das hatte er jetzt wieder bewiesen, als es ihm unmöglich war, seiner Frau den Todeswunsch nicht zu erfüllen.
Jessica erinnerte sich an einen anderen, der zu einem gewissen Grad genauso war. Hart bis an die Grenze des Leichtsinns, doch weich gegenüber Frauen jeder Spezies.
Heem...
»Für die Frau, die er wählt, wäre es sicher eine gute Sache«, meinte Jesse. »Selbst wenn er sich eine Kind-Frau nimmt, kann er ihr eine Menge bieten, sowohl physisch als auch gesellschaftlich. Wie ich hörte, ist er zu Hause äußerst gutmütig und zärtlich.«
»Aber ein Kannibale in der Öffentlichkeit«, erklärte Jessica. Sie raffte ihre Nervenkraft zusammen und ging zur Tür, um den Witwer zu begrüßen.
Morrow war ein hünenhafter, dunkelhäutiger Mann, mit einem schwarzen Bart und Muskeln wie einer der Gladiatoren, gegen die er gekämpft hatte. Es wurde berichtet, daß er zu seiner eigenen Unterhaltung noch immer riesige Hanteln stemmte. Jedenfalls würde kein durchgehender Drache ihn zerdrückt haben; Jessica war von der männlichen Kraft, die von diesem Körper ausging, beeindruckt.
»Willkommen auf dem HydrO-Klon Ball, Lord Morrow«, sagte sie förmlich und mit dem Respekt; der einem älteren Klon zukam. Genaugenommen war er nur ein Jahrzehnt älter als sie, doch war Alter nicht das einzige Attribut von Würde. »Ihr Besuch ist eine unerwartete Ehre.«
Der Riese starrte auf sie herab, die Augenlider leicht zusammengepreßt, und schien sie abzuschätzen. »Ihr Kostüm gefällt mir nicht«, sagte er.
»Ziehen Sie es aus.«
Jessica lächelte ein maskulines Lächeln, obwohl sie einen eisigen Schauer über ihren Rücken rinnen fühlte. Da war etwas um diesen
Weitere Kostenlose Bücher