Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Suckert
Vom Netzwerk:
am unrasierten Kinn: „Wie hatte Helga immer gesagt? Ich wäre eigentlich mit der Nationalen Volksarmee verheiratet. Pah! Werde mal den Kamin anschmeißen, wird kühl hier.“
    Er torkelt zur Tür hinaus und kommt kurz drauf mit einigen Holzscheiten wieder. „Kalt in Deutschland. Eiszeit. Hihihi.“ Er hat das Feuer endlich zum Lodern gebracht, sitzt in sich zusammen gekrochen vorm Kamin und lallt: „Eiszeit – Scheißzeit.“
    Georg hüstelt. „Gut, Hans, wir wollten nur kurz gratulieren. Also, dann.“
    Hans drückt Georg in den Sessel zurück. „Keine unerlaubte Entfernung von der Truppe. Noch ein Bier?“ Er kämpft sich zur Tür hinaus. Es schepperte draußen. Dann hören wir es fluchen. Georg springt ihm entgegen, um die Bierflaschen vorm Absturz zu retten.
    Nun lümmelt sich Hans an den Kamin und grinst dümmlich. „Habe ich euch eigentlich schon den neuen Hans präsentiert? Teufel, vor einigen Monaten hättet ihr noch Ärger bekommen, von wegen Feindberührung und so. Wartet, wartet, ich stell euch den neuen Hans mal vor.“ Er macht eine fahrige Bewegung und stolpert zur Tür hinaus. Wenige Minuten später kommt er bekleidet mit einer Uniform der Bundeswehr zurück und salutiert, so gut es noch ging: „Ex-Stabsfeldwebel Kreutzner wird keine großen Worte machen. Was gibt es da noch groß zu sagen? Einige Bemerkungen seien mir gestattet. Da sagen doch alle, es gibt keine Sieger und keine Besiegten. Unsinn, alles Unsinn. Gestern noch war der Träger einer solchen Uniform mein Feind. Bin ich jetzt mein eigener Feind?“
    Nun lacht er hysterisch und fährt fort: „Ich bin ein Verlierer, ein Besiegter. Fühle mich wie ein Versprengter in einem fremden Heer. Was fange ich denn nun noch an, mit dem restlichen bissel Leben? Teufel, bin zu alt, um neu zu beginnen. Werde meine NVA-Uniform auf’m Trödelmarkt verscheuern. Kann man seine Gesinnung auch meist bietend verhökern? Wahrscheinlich.“ Er goss sich ein Glas mit Cognac randvoll ein und hob es an seine Lippen.
    „Hans, trink doch nicht so viel.“ Ich nahm ihm das Glas aus der Hand.
    „Meinst es gut, Julia. Aber lass mich mal. Muss allen Zorn runterspülen.“
    Ich gebe nach.
    Und als ob er sich nüchtern getrunken hätte, nimmt er nun erneut Haltung an, steht sicher und stolz und beginnt: „Ich schwöre der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Nun stimmt er die verbotene Variante vom Deutschlandlied an. Dann macht er eine militärisch exakte Kehrtwendung und verlässt das Zimmer im Stechschritt. Dabei schmettert er stimmgewaltig: „Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wieder haben!“ Wenige Minuten später kommt er zurück, lümmelt sich vor uns, reibt an seiner Nasenwurzel und sagt bitter: „Wie meinten es doch alle immer so schön? Ich sei nicht mit Helga, sondern mit der Armee verheiratet. Stimmte wohl auch. Und nun bin ich zwangsgeschieden und wieder zwangsverheiratet worden. Eine Vernunftehe, keine Liebesheirat, das könnt ihr mir glauben. Aber was soll ich anderes tun? Ausgelöscht das Bild vom Klassenfeind, von heut auf morgen. Und nun geh ich schlafen. Geht nach Hause.“
    Es ist unser letzter Besuch bei Hans. Er fängt an zu trinken, Helga lässt sich von ihm scheiden, und er wird unter Verlust aller Dienst- und Sachbezüge entlassen.
    Die letzten Arbeiten im Garten haben mich erschöpft. Ich setze mich auf die Bank und betrachte mein Tagwerk. Nun kann der Winter kommen. Georg kommt von der Arbeit und spricht mich an: „Na, lustwandelst du wieder in Gedanken durch deinen Garten in der Toskana? Jetzt kannst du dir ja einen dort anlegen. Vorausgesetzt, das Geld dazu verdienst du dir allein“, sagt er spitzfindig.
    Ich schaue ihn traurig an.
    „Ach ja, soll dir auch noch einen schönen Gruß von einer gemeinsamen Bekannten bestellen.“
    „So, von wem denn?“
    „Ich war noch nicht fertig. Sie meinte, dass ich dir mal gehörig in den Hintern treten soll, damit du in Bewegung kommst und endlich einen Job findest.“
    „Du bist fies. Es war doch auch dein Wunsch, dass ich wegen Lilly zu Hause bleibe. Kein Mensch konnte ahnen, was sich hier entwickelt. Schau dir die Stellenanzeigen mal an. Wir werden mit den tollsten Geschäftsideen überrollt, aber in aller Regel greifst du erst einmal selber tief in die Tasche.“ Ich stelle mich vor ihn, breite meine Arme aus und sage theatralisch: „Meine Damen, greifen Sie zu! Nie wieder werden Sie Sorgen haben

Weitere Kostenlose Bücher