Tausendundeine Stunde
solltest etwas mit deinen Zähnen machen. Du bist eine attraktive und gepflegte Frau, stören dich deine schiefen Zähne nicht?“
Jetzt war das Maß voll.
„Wenn ich an mir etwas mache, dann an meinem Gehirn. Wie vernagelt bin ich eigentlich gewesen, um nicht eher zu begreifen, was für ein Mensch du tatsächlich bist. Hat deine Herzensbildung gerade Hausarrest? Oder hast du sie gestern zusammen mit deinem Handy bei dieser Veronika gelassen? Ihretwegen hast du mich gestern drei Stunden lang in dieser öden Bahnhofshalle warten lassen?“
Dietrich antwortete selbstgerecht: „Ja, was sollte ich denn tun? Sie hatte eine Panne auf der Autobahn. Natürlich habe ich sie abgeholt, als sie mich anrief und um Hilfe bat. Das hätte ich auch für dich getan.“
„Hast du schon einmal etwas von der Pannenhilfe gehört? Darauf hättest du sie verweisen können, als sie dich anrief. Du bist mir sehr wichtig, weißt du. Aber wie wichtig bin ich dir? Ich hatte mir unsere erste Begegnung ganz anders vorgestellt. Immer, wenn ich daran gedacht hatte, kribbelte es in meinem Bauch. Ich hatte gehofft, du würdest mich in deine Arme schließen und mir etwas Liebevolles sagen. Als Krönung speist du mich mit einem versalzenen Rührei ab, obwohl du mich in dein Lieblingsrestaurant ausführen wolltest. Dorthin gehst du wahrscheinlich am Dienstag mit Veronika, jedenfalls freut sie sich schon auf das gemeinsame Essen, wie sie mich wissen ließ. Dabei wollten wir doch die gesamte kommende Woche miteinander verbringen.“
Mein Herz krampfte sich zusammen, ich konnte seinen Anblick nicht mehr ertragen und drehte den Kopf zur Seite.
„Du bist ein Sammler von schönen Begebenheiten, ich brauche keinen Ehrenplatz in Dietrich Wollingers Raritätenkabinett der schönen Erinnerungen. Es wäre schön, wenn du mir nur halb so viel Achtung entgegen bringen würdest, wie deinen angestaubten Büchern.“
„Wie kannst du das sagen? Natürlich achte ich dich. Mehr als einmal habe ich dir gesagt, dass du eine kluge Frau bist. Ich verstehe deine Erregung nicht.“
„Ja, das glaube ich dir sogar. Weißt du, was mir in diesem Moment klar wird? Du bist nicht bereit, in deinem Leben für mich Platz zu machen. Weder für mich, noch für eine andere Frau.
Du liebst deine Autonomie, den Duft von Frauen, du fühlst dich mit dem Telefonhörer in der Hand, umgeben von den Abbildern deiner Ikonen, sicher und wohl. Nicht ich muss an mir etwas machen, sondern du. Du bist beziehungsunfähig. Geh zur Therapie und mich streiche bitte von deiner Liste.“
Dietrich sah mich kläglich an. Ich klopfte ihm auf die Schulter, dabei weinte ich lautlos.
„Ich packe jetzt meine Sachen zusammen, bist du so nett und rufst mir ein Taxi?“
„Nein, ich möchte nicht, dass du fährst“, sagte er mit treuherzigem Blick.
Ich griff nach seiner Hand. „Wie zwei sind Suchende, die sich gegenseitig erträumten. Ich denke, wir suchen beide unterschiedliche Dinge und es gab nie einen gemeinsamen Traum. Wir sind, wenn du es so willst, Reisende, die sich auf halbem Weg verfehlt haben. Vielleicht, weil wir uns vorher nicht gut genug über den Treffpunkt geeinigt hatten.“
Ich machte eine kleine Pause und seufzte tief: „Ich hatte durch dich einen schönen Traum, der sich als trügerische Hoffnung entpuppte. Wir beide sind nicht füreinander geschaffen. Das spürte ich gleich nach den ersten Sekunden meiner Ankunft. Verlange nicht, dass ich dir das jetzt erkläre. Ich verstehe es ja selbst nicht.“
Tränen rollten lautlos über mein Gesicht. Dietrich sah mich hilflos an. Endlich hatte ich mich beruhigt: „Meine Tränen galten nicht dir, eher mir. Ich bin wütend, weil ich begriffen habe, dass mein Traum nun vorbei ist.“
Noch immer starrte mich Dietrich an, unfähig, ein Wort zu sagen.
„Du bist sicher bibelfest. Erinnere dich was geschah, als die Menschen den Turm zu Babel bauten. Gott gab einem Jeden von ihnen seine eigene Sprache, nicht wahr? Plötzlich verstanden sie sich nicht mehr und wurden daran gehindert, ihr Vorhaben in Babylon zu beenden. Der Turm zu Babel wurde nie zu Ende gebaut. Manchmal denke ich, dieses Babylon-Gestammel ist in den Menschen geblieben. Klar, wir haben gelernt, uns zu verständigen. Vielleicht hätten wir besser lernen sollen, uns zu „verfühligen“. Etwas tiefer betrachtet ist doch so ein Wort nur der Ausdruck für Gedachtes, Gefühltes, Empfundenes. Die Übersetzung harter Hirnarbeit, die Wiedergabe biochemischer Prozesse, die in
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