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Tausendundeine Stunde

Tausendundeine Stunde

Titel: Tausendundeine Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Suckert
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Lichtgeschwindigkeit ablaufen.“
    Dietrich wich meinem Blick aus und schwieg.
    „Warum können zwischenmenschliche Beziehungen nicht so funktionieren wie die phantastischen Abläufe im Körper eines Menschen? Alles ist aufeinander abgestimmt. Jedes Organ weiß, welchen Part es zu übernehmen hat. Die verstehen sich wortlos. Warum funktioniert es jetzt, wo wir uns so nahe sind, nicht? Wir haben uns wochenlang darüber ausgetauscht, wie großartig unsere erste Begegnung sein würde. Du liebe Güte, was wollten wir nicht alles miteinander tun.“
    Ich schluchzte, erneut kullerten Tränen über mein Gesicht. Meine Empörung war gewichen, gefolgt von tiefer Traurigkeit. Vor allem wurde mir bewusst, dass ich aufgewacht war.
    Dietrich saß regungslos neben mir.
    Ich stand auf, packte meine Tasche und bat ihn erneut, mir ein Taxi zu rufen.
    „Wenn du unbedingt fahren willst, so lass mich dich wenigstens zum Bahnhof bringen.“
    Ich willigte ein.
    Am Bahnhof kaufte er mir noch ein Buch als Reiselektüre und fragte, ob ich sonst noch etwas bräuchte. Ich schüttelte mit dem Kopf und vermied es, in seine Augen zu sehen. Schließlich legte er seine Hand auf meine Schulter und sagte: „Lass uns Freunde sein, Juliane.“
    Das traf mich wie eine Faust in die Magengegend. Ich hatte das Gefühl, meine Beine rutschten weg. Ich umarmte seine Hüften und legte meinen Kopf an seine Brust. Dann nahm ich meine Tasche und ging ohne ein Wort zu sagen und ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich hatte noch so viel Gefühl für diesen Mann, das wurde mir in diesem Augenblick klar. Ich kämpfte mit meinen Tränen und ließ ihnen schließlich auf der Toilette freien Lauf. Immer und immer wieder fing ich an zu weinen. Ein älterer Herr, der mir im Zugabteil gegenüber saß, fragte mich mit einem Ton des Bedauerns, ob ich einen lieben Menschen verloren hätte. Ich nickte, denn irgendwie war es ja so.
    Zuhause angekommen, schottete ich mich ab. Ich veranstaltete einen dreitägigen Heulmarathon und ging nicht ans Telefon. Dietrich hatte mehrmals auf den Anrufbeantworter gesprochen. Am dritten Tag erhielt ich von ihm eine CD. Auf einem beigelegtem Zettelchen hatte er nur:„Liebe Grüße und viel Spaß mit der CD, Dietrich“ geschrieben. Ich legte die CD ein und fing bei den ersten Tönen der Musik gleich wieder an zu heulen.
    Nach drei Minuten hatte ich keine Tränen mehr und beschloss überhaupt nicht mehr wegen einem Mann zu weinen.
    Am Abend rief ich Nele an. Nachdem ich ihr alles erzählt hatte, natürlich wieder unter Tränen, sagte sie nur: „Lass ihn sausen. Und höre auf zu flennen, das ist dieser Mann nicht wert. Du weißt doch, man muss viele Frösche küssen.“
    Kurze Zeit später rief Dietrich an.
    „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Mädchen. Ist alles in Ordnung? Hast du meine Post erhalten?“
    „Ja, klar, um Freunde macht man sich halt Sorgen. Ja, es ist alles in Ordnung und ja, die Post habe ich erhalten. Danke. Sonst noch etwas?“
    Ich lauschte. Keine Reaktion.
    Erst nach einigen Sekunden sagte er: „Du bist wirklich schwierig. Ich habe mich gesorgt. Du bist ohne ein Wort gegangen, hast dich am Abend nicht gemeldet, ob du gut angekommen bist und hast auf keinen meiner Anrufe reagiert. Wir wollten doch Freunde bleiben, hast du es vergessen? Ich schätze dich und ich mag dich.“
    „Mein alter Nachbar mag mich auch. Und der Postbote. Ich will nicht, dass man mich nur mag, ich will, dass ich geliebt werde und dass ich die erste Geige im Leben eines Mannes spiele. Alles andere ist lauwarmer Kaffee.“
    Ich hörte, wie er am anderen Ende atmete. Wir schwiegen einige Minuten.
    „Wider alle Vernunft liebe ich dich, Dietrich. Es tut mir weh, dass du meine Gefühle nicht erwidern kannst. Die Erkenntnis, dir nicht wichtig genug zu sein, schmerzt. Wie stellst du dir eine Freundschaft mit mir vor? Das alles so unverändert beibehalten wird? Das wir per Telefon unsere Lust miteinander teilen? Freunde teilen ihre Gedanken, nicht ihre Lust. Du hast mich k.o. geschlagen. Ich mag im Moment nicht mehr mit dir sprechen. Irgendwann melde ich mich wieder bei dir. Bitte rufe mich vorerst nicht mehr an.“ Ich legte auf. Dann starrte ich das Telefon an und hoffte, er würde sofort wieder anrufen. Er tat es nicht.
     
    Drei Wochen lang wartete ich Abend für Abend, dass er sich melden würde. Hoffte, dass er mir sagt, dass er mich vermisst und dass seine Gefühle für mich stärker sind, als er angenommen hatte. Dann hielt ich es nicht mehr

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