Tausendundeine Stunde
du gerade getragen hast?“
Mir verschlug es die Sprache. Nach einigen Sekunden antwortete ich jedoch brav: „Ich werde ihn dir schicken.“
Tatsächlich lief ich gleich am Mittag los und kaufte einen blütenweißen Slip aus Spitze. Ich nebelte ihn mit meinem Lieblingsparfüm ein und steckte ihn zusammen mit einem Foto von mir in einen Umschlag und schickte ihm beides.
Zwei Tage später meldete sich Dietrich früh am Morgen, was außergewöhnlich war. Er meinte, dass ich ihn ruhig öfters auf diese Weise wecken dürfte und sagte mit einem leichten Unterton von Bedauern, dass der Slip gar nicht nach mir, sondern furchtbar parfümiert duften würde. Ich erklärte ihm, dass dies der Duft meiner Körperlotion sei, also sehr wohl nach mir riechen würde.
„Ach so“, erwiderte er und nörgelte gleich weiter: „Außerdem, wieso trägst du so etwas aus Spitze? Das ist doch für die Haut völlig ungesund.“
„Du kannst mir ja ein Dutzend Baumwollne kaufen und sie mir zusammen mit Kernseife zuschicken“ erwiderte ich schnippisch.
Er lachte herzhaft und hatte mich damit versöhnt.
Am Abend rief ich Nele an. Sie war die richtige Gesprächspartnerin für meine Fragen. Caroline hätte wahrscheinlich die Antworten zuvor ausgependelt und Doris würde ihre Beziehungsbücher zu Rate ziehen. Ich zündete mir eine Zigarette an und wählte Neles Nummer. „Hast du einen Moment Zeit?“, fragte ich.
„Für dich nehme ich sie mir, was gibt es denn?“
„Klingt es für dich absurd, wenn ich dir sage, dass ich mich in einen Mann verliebt habe, den ich persönlich gar nicht kenne?“
„So auf Anhieb würde ich sagen, dass es abwegig klingt. Erzähle mir ein bisschen mehr, vielleicht kann ich meine Antwort ändern.“
„Ich habe Dietrich vor knapp einem Jahr durch ein Telefonat in dieser Agentur, du weißt schon, kennen gelernt. Ehe du ein Urteil fällst, ich weiß, dass dieser Umstand gegen ihn spricht. Aber andere Männer schauen sich Pornos an oder gehen ins Bordell.“
„Ich kenne auch einige Männer, die weder das eine noch das andere tun.“
„Das kann gut sein, aber ich habe ihn nun einmal auf diese Weise kennengelernt. Wir telefonieren schon fast ein Jahr miteinander, teilen unsere intimsten Gedanken, lesen uns gegenseitig aus Büchern vor, tauschen uns über Tagesgeschehnisse aus. Wir teilen Freude und Kummer und ich stelle immer wieder fest, dass wir sehr seelenverwandt sind. Jeder Tag, an dem wir nicht mit einander sprechen, ist für mich ein verlorener Tag.“
„Denkt er auch so?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe nicht den Mut, ihn zu fragen, was er fühlt. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass er mich nur anruft, weil die Telefonate meistens mit erotischen Phantasien enden.“
„Bitte?“ Neles Stimme klang schockiert.
„Ich glaube nicht, dass er es bewusst darauf anlegt. Es ergibt sich eben immer so. Er ist klug und witzig. Am meisten beeindruckt mich, dass er noch kein negatives Wort über seine geschiedene Frau verloren hat. Dieser Mann hat Herzensbildung. Das ist einer, der Respekt zeigt und nicht oberflächlich urteilt. Er hat eine so schöne, warmherzige Stimme.“
„Dich hat es ja tatsächlich voll erwischt. Warum habt ihr euch denn noch nicht persönlich kennen gelernt?“
„Aus Zeitmangel seinerseits.“
„Zeitmangel? Glaub mir, wenn er die Absicht hätte, dich näher kennen lernen zu wollen, dann hätte er Zeit gefunden. Wo wohnt er denn?“
„In Nürnberg, das ist nicht gleich um die Ecke. Ich glaube ihm, dass seine Zeit knapp bemessen ist. Außerdem wird er sich in zwei Wochen ein paar Tage Urlaub nehmen, dann fahre ich zu ihm. Würdest du mir dein tolles rotes Kleid leihen? Er will mich in das schönste Restaurant ausführen. Ich freue mich riesig auf diesen ersten Augenblick, wenn wir uns endlich gegenüberstehen. Ich habe mir diesen Moment schon so oft in Gedanken vorgestellt. Bestimmt hat er eine Rose dabei, er wird sich zu mir herunterbeugen, mich zärtlich auf die Wangen küssen. Er wird nach meiner Hand fassen und sie fest umschließen. Glaubst du, ich habe mich zu weit vorgeträumt?“
„Was soll ich dir darauf antworten, Jule? Ich hoffe für dich, dass du nicht unsanft aus deinem Traum erwachst.“
„Ja, das hoffe ich auch. Aber ich habe ein gutes Gefühl. Schön, dass du mir zugehört hast. Bis bald.“
„Ja, bis bald. Halte mich auf dem Laufenden.“
Kapitel 6
Zwei Wochen später war es soweit. Mit den größten Erwartungen fuhr ich nach
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