Taxi
mehr Ärger als Geld. Man wurde zum Beispiel zu einer Kneipe gerufen, der Fahrgast, der einen bestellt hatte, konnte sich nicht losreißen, ließ einen ewig warten und schrie dann: »Was, schon acht Mark auf der Uhr? Das zahl ich nicht! Ich ruf mir ein neues Taxi.«
Der Karl-Muck-Platz wurde noch viermal gerufen, bis die Musikhalle aus war. Alles Super-Touren, keine unter zwanzig Mark. Dann öffnete sich endlich das große Tor, und die Konzertbesucher quollen heraus und stürmten den Taxistand. Ich hatte meinen Wagen ein Stück vorgezogen und mein Dachschild ausgeschaltet, um deutlich zu machen, dass ich nicht mehr frei war. Trotzdem rissen immer wieder Leute die hintere Tür auf und schauten überrascht auf die alten Damen.
»Besetzt«, knurrte ich ihnen entgegen. Hinter mir fuhr ein Taxi nach dem anderen mit Fahrgästen los, aber die Cousine wollte einfach nicht kommen. Inzwischen warteten wir hier schon eine gute Viertelstunde. Ich sah Taxis zum zweiten und dritten Mal wiederkommen und jedes Mal neue Fahrgäste mitnehmen. Die Musikhalle war ausverkauft gewesen, die Konzertbesucher standen in großen Trauben, winkten nach Taxis, und ich war zur Untätigkeit verdammt. Endlich, als sich der Platz schon geleert hatte und die Funkerin durchgab, dass jetzt die Staatsoper zu Ende ging, kam die Cousine mit einem Gehwagen angerollt. Ich klappte den Gehwagen zusammen und legte ihn in den Kofferraum. Dann hob ich die Cousine mehr oder weniger auf den Vordersitz und es ging los, zuerst in den Mittelweg, wo ich die Cousine wieder heraushob und an ihre Wohnungstür brachte, und dann zweihundert Meter weiter zur Heilwigstraße.
»Hören Sie«, sagte eine der würdigen alten Damen, als sie ausstiegen, »das hat ja wunderbar geklappt mit Ihnen. Nächste Woche Mittwoch sind wir wieder in der Musikhalle. Ob Sie uns da bitte wieder abholen können?«
23
Nachdem Dietrich mich mit den richtigen Büchern versorgt hatte, kaufte er für mich die richtigen Kleider. Bisher hatte ich immer Jeans getragen – Jeans, Westernstiefel, geringelte Sweatshirts und meine dicke Taxifahrer-Lederjacke, die mir die Fahrgäste vom Leib hielt. Dietrich kaufte mir mädchenhafte Röcke und Sommerkleider in leuchtenden Farben, gelb und grün, und dazu passende Schuhe. Er hatte einen viel besseren Geschmack als ich, und da er mir die Kleider schenkte, ließ sich dagegen nichts einwenden. In gewisser Weise verbesserte ich mich ja sogar. Damit ich Gelegenheit hatte, einen der bunten Röcke zu tragen, ging Dietrich mit mir in eine Kunstausstellung. In der Kunsthalle lief er mit schnellen Schritten vor mir her, zeigte auf ein Bild nach dem anderen und kommentierte kurz und knapp:
»Das ist Schrott, das ist Schrott, das auch, das auch, … ah, das hier«, er blieb stehen, »das hat was, … es ist nicht richtig gut, aber um Längen besser als der übrige Schrott.«
Ich blieb vor dem Bild stehen – eine weiße Leinwand mit braunen Strichen. Ich versuchte nachzuvollziehen, was daran gut oder schlecht war.
»Meine Güte, beeindruckt dich das etwa?«, sagte Dietrich. »Das habe ich noch nie verstanden. All diese Frauen, die da immer so ehrfürchtig durch die Museen gehen und vor jedem Scheißdreck stehen bleiben, den Kopf schief legen und ratlos darauf herumkucken und immer denken, das muss an ihnen liegen, wenn sie die Erhabenheit des Kunstwerk nicht gleich erfassen. Denkst du, das muss was Dolles sein, bloß weil es im Museum hängt? Glaub mir, das ist Schrott.«
Ganze Galerien von Schrottbildern absolvierte ich auf diese Weise. Inzwischen hatte ich natürlich auch Dietrichs Bilder gesehen. Er malte auf große Holzplatten, die er bunt grundierte und dann mit kleinen Figuren bekritzelte, mit Comic-Raumschiffen und den Silhouetten von zackigen Männchen. In letzter Zeit malte Dietrich vor allem Bilder von mir. Er malte sie nach Fotos, die er auf unseren Ausfahrten machte. Auf die Idee war er nämlich auch noch gekommen, dass ich plötzlich Ausfahrten mit ihm machen sollte. Dietrich besaß ein Auto, eine riesige alte Kutsche von Ford. Er schwor auf Ford. Als wenn es nicht reichte, die ganze Nacht Auto zu fahren. Er sagte nie, wohin es ging, er sagte noch nicht einmal, wie lange es dauern würde. Er fuhr einfach los und grinste vor lauter Vorfreude in sich hinein. Unvorstellbar, dass ich einmal am Steuer gesessen hätte. Zwei Stunden, vier Stunden, fünf Stunden. All die schöne Zeit, die ich hätte im Bett verbringen können und die ich nun auf dem
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