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Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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zukommenden Situation völlig überfordert sein würde, und sich demzufolge abwartend verhalten sollen. Sie hätte an einer etwas breiteren Stelle halten sollen, bis jemand, der einfach würdiger war, am Straßenverkehr teilzunehmen, die Stelle passiert hätte. Aber nein! Irgendetwas, falsch verstandene Emanzipation oder die völlige Unfähigkeit, Raumverhältnisse einzuschätzen, bewog sie draufzuhalten. Sie fuhr mir entgegen, bis sich unsere Seitenspiegel wie die schwarze und weiße Fläche im Yin-und-Yang-Zeichen aneinanderschmiegten. Daraufhin hielt sie endlich an. Natürlich hatte sie mit ihrer Ente zum rechten Fahrbahnrand einen halben Meter Abstand gehalten, damit sie ja nirgends gegen kam, und das machte es für mich jetzt äußerst schwierig, an ihr vorbeizufahren. Ich starrte ihr finster in das von einem praktischen Kurzhaarschnitt umrahmte Gesicht, und sie lächelte mich hilflos an, als wäre ich irgendein bescheuerter Mann, bei dem offensiv zur Schau getragene Dämlichkeit einen erotischen Sanitäterinstinkt auslösen könnte. Zurücksetzen ging nicht, hinter mir hielten bereits zwei Autos. Also hob ich die Hände in Schulterhöhe und schlenkerte der Frau meine Finger entgegen, um ihr zu signalisieren, dass sie es war, die rückwärts fahren musste. Die Frau sah über ihre Schulter und gleich wieder nach vorn und bekam rote Flecken im Gesicht. Diese Fahrtrichtung beherrschte sie nicht. Es blieb mir nichts übrig, als das Fenster herunterzukurbeln, sowohl meinen als auch ihren Rückspiegel zur Seite zu klappen und mich im Schneckentempo an ihrer mitten auf der Straße parkenden Charleston-Ente vorbeizuschieben. An jeder Seite meines Taxis war höchstens noch zwei Finger breit Luft. Die Schnalle selber bewegte sich natürlich keinen Zentimeter, sondern ließ mich machen und glotzte noch blöd, ob ich auch ja keine Schramme in die Speziallackierung ihres drolligen französischen Kleinwagens fuhr. Diese Wesen würden es nie schaffen. Sich dreißigtausend Jahre lang unterdrücken zu lassen, ohne eine einzige anständige, blutige Revolution auf die Beine zu stellen, das sagte ja eigentlich schon alles.
    »Zwodoppelvier?«
    »Ja, Zwodoppelvier.«
    Ich war schon acht Minuten überfällig. Jetzt war ich dran.
    »Zwodoppelvier. Hütten dreiunddreißig braucht jetzt doch kein Taxi mehr. Tut mir leid, Zwodoppelvier.«
    »Mir auch. Danke Zwodoppelvier.«
    »Danke Zwodoppelvier.«
    Im Rückspiegel sah ich, dass die Charleston-Ente immer noch regungslos an der Stelle verharrte, wo ich sie passiert hatte. Mühsam zwängte sich der Gegenverkehr an ihr vorbei. So hielt man die weibliche Unfallquote natürlich niedrig.
20
    Es war ein Nachteil, dass meine neue Wohnung so viele Fenster hatte – zwölf Stück, verteilt auf drei Seiten. Die Fenster eines der gegenüberliegenden Häuser waren nur fünf Meter entfernt. Es war unangenehm, aufzuwachen und als Erstes in das desillusionierte Gesicht einer Hausfrau zu schauen, die im Nachbargebäude gerade einen Kuchenteig anrührte. Also schaffte ich mir Gardinen an. Ich ließ sie aus schwerem blauem Samt nähen, durch den nur wenig Licht schimmerte. So konnte ich auch tagsüber schlafen. Ich schlief fast immer bis vier Uhr nachmittags. Ganz selten kam es vor, dass ich schon um zwei oder drei aufwachte, dann wusste ich nicht, was ich mit der Zeit anfangen sollte, und blieb einfach im Bett, bis es vier war. Wenn man um vier Uhr aufwachte und um halb sechs schon wieder zur Arbeit musste, lohnte es sich nicht wirklich, zwölf Gardinen aufzuziehen. Also blieben die Gardinen meistens zu, und ich lebte jetzt in einer genauso dunklen Höhle wie Dietrich. Von Ende November bis Mitte Februar sah ich praktisch kein Tageslicht. Außer wenn ich einkaufen ging. Gleich um die Ecke gab es einen Penny-Markt. Er lag nicht nur für mich gleich um die Ecke, sondern auch in der Nähe des Obdachlosenheims Pik As. In den windgeschützten Hauseingängen zwischen Nachtasyl und Discounter lungerten die sonnengegerbten und erschöpften Männer in kleinen Gruppen herum und klirrten mit dem Inhalt ihrer Plastiktüten. Ab und zu löste sich jemand aus einer Gruppe, um Nachschub zu holen. Wenn ich kurz nach vier den Penny-Laden betrat, strolchten meist zwei bis drei Obdachlose durch die engen Gänge, kleckerten mit einer frischen Platzwunde den Fußboden voll, bepöbelten sich über die Margarinestapel hinweg und taten alles, um den übrigen Kunden einen lebhaften Eindruck ihres Lebensstils zu vermitteln. An

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