Taxi
herumkrittelten.
Jetzt waren die Geräusche über mir verstummt. Wenn ich Dietrich noch wach antreffen wollte, musste ich mich beeilen. Ich klemmte mir mein Kopfkissen unter den Arm und ging zur Tür, um zu lauschen, ob das Treppenhaus frei war. Nicht, dass womöglich gerade Majewski mit seiner Freundin wieder herunterkam. Dann stapfte ich im Pyjama ein Stockwerk höher. Die Wohnungstüren hatten Klinken und ließen sich vom Treppenhaus aus öffnen. Dietrich und ich schlossen unsere Wohnungen nie ab, wenn wir zu Hause waren. Manchmal verirrten sich Obdachlose oder Betrunkene in den Hinterhof, stiegen das Treppenhaus hoch und probierten die Türklinken durch. Dann stand plötzlich so eine Gestalt vor meinem Bett und nuschelte Tschuldigung . Deswegen trug ich auch immer Pyjamas.
In Dietrichs Wohnung brannte noch Licht. Er selbst lag bereits auf dem Bett und schlief. Dietrich hatte alle seine Kleider an, Jeans, Hemd, Socken. Auch die Lederjacke und die Schuhe. Das Taxifahren machte einen fertig. Man schlief nicht mehr wie ein normaler Mensch ein, sondern man legte sich ins Bett und wurde sofort ohnmächtig. Aber ich zog mich wenigstens vorher noch aus. Offenbar hatte Dietrich sich mein Gezeter von gestern zu Herzen genommen und seine alte Bettwäsche abgezogen. Dann war ihm wohl etwas dazwischengekommen oder er hatte keine neue Bettwäsche gefunden, jedenfalls lag er jetzt in der Füllung. Das Zimmer stank. Es stank ganz widerlich. Ich konnte mir erst nicht erklären, woher das kam, aber dann sah ich, was unter Dietrichs Schuhsohlen klebte.
»Gottverdammt«, schrie ich, »das ist ja wohl das Letzte.«
»Was? Was ist?«
Er schlug die Augen auf und sah mich verwirrt an.
»Verdammte Sauerei«, schrie ich. »Das halt ich nicht länger aus!«
»Was denn? Was ist denn?« Dietrich kam allmählich zu sich und sah mich besorgt an.
»Hundescheiße«, schrie ich. »Du hast Hundescheiße an deinen Schuhen.«
»Oh. Ja? Oh, tatsächlich.«
»Mensch, pass auf! Pass doch auf, du schmierst es ins Bett.«
Dietrich stand auf und wankte halbwach zu mir herüber. Er stellte sich neben mich und schrubbte mit den Schuhsohlen über die Fußmatte.
»Was tust du da?«, brüllte ich ihn an.
»Wieso?« Er war jetzt endlich wach und sah mich gekränkt an. »Was brüllst du mich denn an?«
»Du schmierst alles in deine Fußmatte.« Ich brüllte immer noch. »Das Mittel der Wahl wäre gewesen, die Schuhe auszuziehen. Aber du latschst mit der ganzen Scheiße am Schuh über den Teppichboden. Du hast hier überall Scheiße verteilt. Und den Rest hast du auf die Fußmatte geschmiert. Jedes Mal, wenn du jetzt reinkommst und dir die Schuhe abputzt, wirst du in die Scheiße treten, du wirst noch das nächste halbe Jahr was davon haben.«
»Ich hab keine Lust, mich von dir anschreien zu lassen. Kein Mensch behandelt mich so wie du«, sagte Dietrich und drehte das Gesicht weg.
»Umso besser«, schrie ich, packte mein Kopfkissen fester und ging wieder nach unten, wo ich mir erst mal die Hände wusch und mich dann wieder ins Bett legte. Immerhin musste ich jetzt nicht mehr an Sex denken. Stattdessen fiel mir ein, was ein Trendforscher vorhergesagt hatte. Trendforscher war auch so ein neuer Trend. Der Trendforscher hatte sich mit der zunehmenden Vereinzelung der Westeuropäer beschäftigt und vorausgesagt, dass sich in den Großstädten demnächst nach Geschlechtern getrennte Stadtteile herausbilden würden, in denen entweder nur noch Single-Frauen oder nur noch Single-Männer leben würden. Die Single-Frauen würden in schnuckeligen kleinen Stadtteilen wie Eppendorf oder Eimsbüttel wohnen. Sie würden Rüschengardinen an den Fenstern ihrer Altbauten anbringen, und es würde Cafés und Buchläden geben und Geschäfte, in denen man hübschen sinnlosen Krimskrams kaufen konnte. In den Männer-Stadtteilen würden Zweckbauten stehen – ohne Rüschengardinen. Statt Buchläden und Cafés würde es Kneipen und Fast-Food-Ketten geben und mindestens eine Sportarena. Was der Trendforscher bei seinen Prognosen aber noch nicht berücksichtigt hatte, war, dass die Männerstadtteile unter einer fortschreitenden Verslumung zu leiden haben würden. Ich dachte das für ihn zu Ende: Der Dreck bei den Männern würde kniehoch in den Straßen liegen. Bei den Frauen hingegen würde sogar das Laub zusammengeharkt, in kleine Stoffbeutel gefüllt und mit Samtschleifen in den neuesten Herbstmodefarben zugebunden und an den Straßenrand gestellt. Die Frauen würden auch
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