Taxi
Beifahrersitz absaß. In einem neuen Kleid. Es war schrecklich, tagsüber wach zu sein. Es war so hell. Und wenn ich den ganzen Tag mit Dietrich durch die Gegend gefahren war, fühlte ich mich hinterher zu müde, um auch noch die ganze Nacht wach zu bleiben. Früher hatte ich nie vor sechs Uhr morgens das Taxi abgestellt. Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen. Aber jetzt konnte ich keine zwölf Stunden mehr durchhalten. Das war für mich das Schlimmste: Ich verdiente plötzlich nicht mehr so viel. Meine geliebten Geldscheine im Schuhkarton unter dem Bett wurden weniger. Ich wusste schon, warum ich mit niemandem zusammen sein wollte.
Meist besichtigte Dietrich mit mir alte Nazi-Aussichtstürme oder irgendetwas anderes, das mit dem Dritten Reich zu tun hatte und das Dietrich schon kannte und mir präsentieren konnte. Auf dem Weg dorthin fotografierte er mich.
»Stell dich mal dahin«, sagte er.
Im Wald, am Strand, vor hohem Schilf.
»Und jetzt kuck nach schräg oben. Leg den Unterarm vor die Stirn.«
Er knipste Hunderte von Bildern. Meistens in Schwarzweiß. Es hatte noch nie so gute Bilder von mir gegeben. Einige ähnelten den Fotos aus dem Leni Riefenstahl-Buch, besonders die, auf denen ich nackt war. Wenn gerade nicht so viele Spaziergänger unterwegs waren, fotografierte Dietrich mich auch ohne die bunten Kleider. Nur, dass so schrecklich viel Zeit dafür draufging.
Aber wenn ich versuchte, die Sache abzukürzen, wenn ich sagte, »Jetzt lass mal gut sein«, bekam Dietrich sofort diesen Blick. Oh Gott, dieser Blick. Diese grenzenlose Enttäuschung und kaum verhohlene Wut, wenn ich nicht das tat, was ich sollte. Ich sagte lieber gar nichts mehr.
Zu Hause malte Dietrich dann diese riesigen Bilder von mir. In der Mitte stand ich, nackt, wunderschön, und darum herum saßen alle diese kleinen Kritzelfiguren und starrten mich mit kalten Comic-Augen an.
24
Ich war mal wieder zu müde, um Taxi zu fahren. Stattdessen legte ich mich ins Bett und schaltete den Fernseher an, den ich mir in einem Anfall von Verschwendungssucht gekauft hatte, als man die neuen Privatsender empfangen konnte. Die neuen Sender waren eine unglaubliche Frechheit. Mitten im Film wurde plötzlich die Handlung unterbrochen und dann kam Werbung. Das hatte keine Zukunft. Ich schaltete zwischen den fünf Programmen hin und her und ärgerte mich über alles, was lief. Um Mitternacht machte ich den Fernseher aus, konnte aber trotz aller Müdigkeit nicht einschlafen. Ich dachte an Sex. Dietrich und ich übernachteten zwar hin und wieder noch im selben Bett, aber selbst dann passierte nichts. Ich hatte keine Lust dazu, und Dietrich drängte mich nicht. Vielleicht genügte es ihm, wenn er mich fotografieren konnte, wann immer er wollte. Ich stellte mir Sex vor mit jemandem, der nicht Dietrich war. Völlig unerreichbar. Wenn ich nicht Taxi fuhr, dann schlief ich ja. Und Fahrgäste, die Schweine, kamen natürlich nicht in Frage. Ein einziges Mal hatte ich mich trotzdem mit einem besonders hübschen Fahrgast verabredet. Er hatte mich einfallslos geküsst und danach nur noch von seinem Job als Fotomodell für Ritter-Sport-Schokolade erzählt.
Das Licht im Hinterhof ging an und schimmerte durch meine Samtgardinen. Schritte. Zwei Personen. Dann schien das Licht des Treppenhauses unter der Tür hindurch, und ich hörte Nachbar Majewski mit einer seiner Eroberungen die Treppe hochtrampeln. Diesmal schien sie jung zu sein, denn sie kicherte ständig. Majewski liefen die Frauen genauso schnell zu, wie er sie abservierte. Im Hinterhof ging das Licht wieder aus und kurz danach auch im Treppenhaus. Ich lag weiter wach.
Gegen vier Uhr morgens ging das Licht im Hof wieder an. Diesmal hörte ich Dietrichs leichten federnden Schritt, erst draußen auf dem Pflaster, dann auf der Treppe. Warum schlief ich eigentlich nicht mit ihm? Die anderen fanden Dietrich ja immer ganz toll. Die hingen geradezu an seinen Lippen. Besonders Rüdiger. Vielleicht musste ich mir nur mal ein bisschen Mühe geben. Ich hörte, wie in der Wohnung über mir der Schlüssel herumgedreht wurde, dann hörte ich das Qietschen der Türangeln und dann hörte ich Dietrich über mir hin und her gehen. In der Nacht zuvor hatten wir uns gestritten, weil ich gesagt hatte, dass ich nicht in seinem stinkenden Dreckhaufen von Bett übernachten würde, bevor er endlich die Bettwäsche gewechselt hätte. Schrecklich: Ich war zu einem dieser zänkischen Weiber geworden, die immer an ihren Freunden
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