Taxi
arbeitete als Journalist und wohnte im selben Haus, zwei Stockwerke über Dietrich. Er war ein lebhafter Mensch mit vorstehenden Augen, der gern V-Pullover mit einem T-Shirt darunter anzog. Jedes Mal, wenn ich ihm begegnete, wurde er von einer anderen Frau begleitet. Diesmal war sie deutlich älter als er und sah verlegen zur Seite, als sie an mir vorbeiging. Majewski hingegen strahlte sein großes Lächeln und interessierte sich ausgiebig für mein Befinden.
Die Tür zu Dietrichs Wohnung war nur angelehnt. Dietrich saß auf seinem Bett, während Rüdiger gestikulierend auf und ab lief. Die Wohnung roch angenehm nach den Mandarinenschalen, die überall auf dem Boden lagen. Rüdiger blieb stehen und drehte sich zu mir um.
»Wer hat gesagt, dass du hochkommen darfst?«, fragte er.
Dietrich schaute weg. Das war mir bisher gar nicht aufgefallen, dass er unloyal war.
»Wie kommst du dazu, dich hier so dicke zu machen?«, sagte ich zu Rüdiger. Dietrich verkrampfte sich und sah mich vorwurfsvoll an. Nur gut, dass ich ihn sowieso bald verlassen würde.
»Du solltest lieber den Artikel lesen«, sagte Rüdiger. »Das ist ein sehr interessanter Artikel.«
»Völliger Blödsinn ist das«, sagte ich. »Es geht doch gar nicht um das absolute Gewicht von Gehirnen. Sonst wäre doch jeder Elefant der menschlichen Spezies haushoch überlegen. Es geht darum, wie groß das Gehirn im Verhältnis zum Körpergewicht ist. Und da schneiden Frauen nun einmal deutlich besser ab als Männer.«
»Natürlich g-geht es um die absolute Größe des Gehirns«, sagte Rüdiger. »Ich trage Hutgröße 63. Ich kann fast nie einen Hut bekommen. Wenn ich Glück habe, gibt es im ganzen Hutladen einen einzigen Hut, der mir passt.«
Ich schielte zu der Prinz-Heinrich-Mütze, die mit der Öffnung nach oben auf dem Boden zwischen den Mandarinenschalen lag. Sie hatte wirklich gigantische Ausmaße. Wie eine Obstschale. Ich sah auf Rüdigers aufgewölbten Schädel mit der runden Kinderstirn und blieb still. Ich brachte es nicht fertig, irgendetwas zu seinem Kopf zu sagen – zu den verschiedenen Möglichkeiten, warum er wohl so dick war. Nicht, dass ich die Meinung vertrat, jemand wie Rüdiger müsste geschont werden. Aber ich konnte es einfach nicht. Es war zu offensichtlich. Er musste es selbst wissen.
»Unausgegorenes Zeug«, sagte ich stattdessen. »Informier dich vernünftig, bevor du mir so einen Wisch gibst. Ich muss jetzt zu meinem Taxi.«
»Natürlich geht es um die Größe«, legte Rüdiger nach.
Als ich ging, atmete Dietrich auf.
22
Ich hatte lange gewartet, aber jetzt stand ich ganz vorn am Karl-Muck-Platz. Hinter mir reihte sich ein Taxi an das andere. Das Konzert war noch gar nicht zu Ende, da kamen bereits zwei alte Damen heraus und schoben sich zittrig und eifrig auf mein Taxi zu. Ich stieg aus und verstaute die beiden auf dem Rücksitz. Sie waren frisch onduliert und trugen Pelzmäntel – Nerz und Persianer. Wenn ich Glück hatte, wohnten sie in Othmarschen, wenn ich Pech hatte, war es bloß eine Kurztour in die Rothenbaumchaussee oder den Mittelweg. Andererseits bot eine Kurztour natürlich die Chance, dass ich rechtzeitig wieder zurück bei der Musikhalle sein konnte, um weitere Konzertbesucher zu fahren.
»Fahren Sie noch nicht los«, sagte eine der alten Damen, während sie ihren Gehstock erst senkrecht und dann horizontal mit ihren Beinen verhedderte. Ich hatte mich schon wieder hinters Lenkrad gesetzt und drehte mich um.
»Wieso nicht?«
»Wir warten noch auf meine Cousine. Sie ist nicht so schnell, und deswegen haben wir das Konzert vorzeitig verlassen, um schon mal ein Taxi zu besetzen.«
Besetzen – das war der richtige Ausdruck für das, was sie da gerade taten.
»Karl-Muck-Platz.«
Der Taxifahrer hinter mir meldete sich.
»Zwoviersieben – der Springer Verlag für Prinz« , sagte die Funkerin.
Der Springer Verlag für Prinz. Ich krallte meine Finger um das Lenkrad, bis die Handknöchel weiß hervortraten. Prinz fuhr immer in die Walddörfer, eine fünfunddreißig-Mark-Tour, und ich musste hier mit den reichen Großmüttern bis zum Sanktnimmerleinstag auf die Cousine warten. Die vornehmen alten Muttchen sahen zufrieden vor sich hin und drehten an ihren Mantelknöpfen. Von Rechts wegen hätte ich natürlich die Uhr laufen lassen können, damit ich wenigstens die Wartezeit bezahlt bekam. Aber den Taxameter anzustellen, bevor alle Fahrgäste im Taxi saßen, so etwas machte ich schon längst nicht mehr. Es brachte
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