Taxi
ein!«
Herrlich, wie das deutsche Rechtssystem funktionierte. Es war mir ein Rätsel, warum die Polizei bei meinen Altersgenossen so unbeliebt war. Sperrt ihn ein . Großartig.
Die beiden Zivilpolizisten schleiften meinen Fahrgast einen Flur entlang zu den Zellen. Er machte sich schwer – wie ein Kind, das von seiner Mutter an einem Süßigkeitenregal vorbeigezogen wird.
»Das dürft ihr nicht«, schrie er. »Das ist Freiheitsberaubung.«
»Ach was«, sagte der Revierleiter gelangweilt. Dann winkte er mich zu sich heran, und ich erzählte ihm kurz, was vorgefallen war.
»Also, Sie können jetzt natürlich eine Strafanzeige stellen. Das würde allerdings bedeuten, dass der Herr dort in der Zelle Ihren Namen und Ihre Adresse erfährt. Da Sie Taxifahrerin sind, könnte die Sache möglicherweise auch von öffentlichem Interesse sein und deswegen weiterverfolgt werden. Aber aller Wahrscheinlichkeit nach wird sie wegen Geringfügigkeit fallengelassen. Es sei denn, Sie wollen selber Strafanzeige stellen, aber dann …«
Ich verzichtete.
28
In der nächsten Nacht erzählte ich Dietrich und Rüdiger davon und zeigte ihnen den kleinen blauen Fleck auf meiner Wange. Wir warteten am Gänsemarkt und trampelten ein paar Meter von unseren Taxen entfernt im frisch gefallenen Schnee herum. Trotz des Wetters war weit und breit kein Fahrgast zu sehen. Die schliefen wahrscheinlich alle schon auf Vorrat, weil morgen Silvester war.
»Ja, aber die Weiber werden a-auch immer rabiater«, sagte Rüdiger. »Da hat in der Zeitung gestanden, dass eine Frau einen Mann zusammengeschlagen hat, b-bloß weil der ihr auf der Straße an den Busen gefasst hat.«
»Der Gefahr kannst du doch leicht entgehen, indem du so etwas einfach nicht machst«, sagte ich.
Ein Mann in Schal und Mantel ging über den verschneiten Gänsemarkt. Er hatte eine Plastiktüte dabei. An einem Papierkorb blieb er stehen, holte einen Chinaböller aus seiner Plastiktüte, zündete ihn an, warf ihn auf den Boden und ging schnell weiter. Ein erwachsener Mann, mindestens vierzig Jahre alt.
»Aber das ist doch keine Verhältnismäßigkeit«, rief Rüdiger. »Einmal an den Busen zu fassen und dafür dann gleich krankenhausreif geschlagen zu werden.«
Die Explosion hallte von den Häuserwänden wider.
»Damit musst du aber nun mal rechnen, wenn du so etwas tust«, schlug Dietrich sich tatsächlich einmal auf meine Seite.
»Ich hab mit dem kein Mitleid«, sagte ich. »Der wollte der Frau doch bloß demonstrieren, dass er mit ihr machen kann, was er will. Und jetzt hat er eben gesehen, dass er das nicht kann. War also lehrreich für ihn. Halte ich für ein gutes gesellschaftliches Signal.«
»Du hältst es für ein gutes gesellschaftliches Signal, wenn jemand zusammengeschlagen wird?«, rief Rüdiger. Seine Stimme wurde schrill.
»Ja, so kannst du das doch wirklich nicht sagen«, murmelte Dietrich.
»Bloß, weil du dich nicht mit der natürlichen Überlegenheit des Mannes abfinden kannst«, kreischte Rüdiger.
»Mensch, halt bloß den Mund«, schrie ich zurück, »du bist gleich der Nächste, der zusammengeschlagen wird.«
»Alex, bitte«, sagte Dietrich und sah aus, als hätte er Schmerzen.
»Soll ich mir die Scheiße etwa anhören? Verlangst du das gerade von mir? Verlangst du wirklich, dass ich mir das anhöre?«
»Ihr könnt euch ja gern weiter streiten, aber ohne mich«, sagte Dietrich und stapfte zu seinem Taxi. Rüdiger lief geduckt hinter ihm her und flüsterte auf ihn ein. Ich fragte mich, wie es mir ergangen wäre, wenn ich Dietrich nicht über den Weg gelaufen wäre. Wahrscheinlich genauso. Wahrscheinlich wäre ich bei irgendeinem ähnlichen Mann gelandet. Jemand wie ich war einfach ein gefundenes Fressen für jemanden, der keinen Menschen, sondern seine Vorstellung von einem Menschen wollte.
29
Wie ich erst viel später mitbekam, war Dian Fossey kurz nach Weihnachten der Schädel eingeschlagen worden. Es war in ihrer Hütte in den Nebelwäldern Ruandas geschehen. In der Gorilla-Forschungsstation. Der Täter blieb unerkannt. Fossey wurde auf dem von ihr selbst angelegten Gorilla-Friedhof begraben. Auf ihrem Grabstein stand Niemand hat Gorillas mehr geliebt.
Monatelang ging ich nachmittags immer wieder in die Thalia-Buchhandlung in den Großen Bleichen, um nachzusehen, ob nicht schon eine Dian-Fossey-Biographie herausgekommen war. Damit war jetzt schließlich zu rechnen. Aber da die Biographie auf sich warten ließ, sah ich mich anderweitig um. Nicht
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