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Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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beschäftigen musste, wenn es zum Gerichtstermin kam. Vielleicht sahen sie in mir auch bloß ein abschreckendes Beispiel dafür, wie es einem ergehen konnte, wenn man nicht in die Junge Union eintrat. Sie verstanden es nicht. Sie verstanden nicht, dass das, wovon ich erzählte, die Welt war, in der auch sie sich aufhielten. Dass es auch sie etwas anging. Sie dachten, es hätte mit mir zu tun, dass ich solche Dinge erlebte.
    »Ja, gut. Bin gleich wieder da«, sagte ich, stellte meine Cola in ein Regal und verschwand aus der Wohnung, ohne mich von jemandem zu verabschieden. Ich lief das Treppenhaus hinunter, setzte mich in meinen Mercedes, schaltete das Dachschild an und parkte aus, dass die Blätter stoben. Ich wollte mit niemandem mehr reden, der nicht selbst Taxifahrer war.
    Darauf musste ich nicht lange warten. Schon an der nächsten Ampel hielt ein Taxi neben meinem, und der Fahrer machte mir Zeichen, dass ich das Fenster herunterkurbeln sollte.
    »Das ist ’ne Mergolan-Kutsche, stimmt’s? Ich wette, dass ist ’ne Mergolan-Kutsche. Mensch, wieso fährst du denn so eine Schrottbeule?«
26
    »Hein-Hoyer, Goldener Handschuh, kannst die Uhr auslassen.«
    Er reckte gereizt das Kinn und legte einen Fünfzig-Mark-Schein aufs Armaturenbrett. Eine große Narbe lief über seinen Handrücken. Der Goldene Handschuh war die Top-Prügel-und-Absturzkneipe in Hamburg, noch vor dem Blauen Peter I bis IV und vor dem Bronzekeller und lange vor Hotel Hannovera. Der Mann wog bestimmt an die hundert Kilo. Er roch nach Schweiß, Alkohol und Gefahr. Unter seinen rechten Augenwinkel hatte jemand dilettantisch den schwarzen Umriss einer Träne tätowiert. Ein gewalttätiger Mensch, nicht imstande, sich zu beherrschen, aber in der Zivilisation mit ihren strikten Verhaltensregeln liefen seine Dominanzansprüche jeden Tag ins Leere. Auswildern ging ja nicht, und so blieb ihm nur der Goldene Handschuh, eines der letzten Biotope, in dem noch das gute alte Schimpansengesetz galt. Ich hatte ihn an der Außenalster aufgenommen, direkt gegenüber des Atlantik Hotels. Wegen Dunkelheit und leichtem Schneetreiben hatte ich ihn erst im letzten Moment gesehen und eine nicht ganz ungefährliche Vollbremsung machen müssen. Jetzt fädelte ich mich wieder in den mehrspurigen Verkehr ein.
    »Was ist damit?«, fragte ich und tippte auf den Fünfziger. Bis zur Hein-Hoyer-Straße in Sankt Pauli kostete es keine zehn Mark. Er grunzte ungeduldig und machte eine wischende Handbewegung in meine Richtung. Ich tat das Geld in mein Portemonnaie. Kaum hatte ich es eingesteckt, sagte er mit seiner tiefen, kratzigen Stimme:
    »Was bist du denn für eine süße, kleine Maus?«
    Was sollte man einem derart aggressiven Exemplar auf eine derart dämliche Frage bloß antworten? Dian Fossey hätte die Situation sofort in den Griff bekommen. Wenn Dian Fossey es mit einem unangenehmen Gorillamännchen zu tun bekam, dann machte sie irgendwelche Schnalzgeräusche und Unterlegenheitsgesten oder stopfte sich ein Büschel Gras in den Mund, um ihn zu beschwichtigen. Ich trat aus lauter Verlegenheit aufs Gaspedal, riss die Taxe in eine Lücke auf die nächste Spur, rutschte bei Rot noch mit über die Ampel, zog wieder nach rechts, hatte freie Fahrt und sauste mit achtzig Stundenkilometern über die schneeglatten Straßen, immer fleißig die Lücken in den Nebenspuren nutzend. Hinter mir wurde gehupt. Mein Fahrgast versuchte die ganze Zeit, weiter Konversation zu machen. Ob ich einen Freund hätte? Warum denn jemand, der so hübsch war wie ich, Taxi fahren musste? Ob ich denn keine Angst hätte?
    »Da musst du dich nicht wundern, wenn du eines Tages mit durchschnittener Kehle in der Elbe liegst. Also, wenn du meine Freundin wärst, würde ich dir das nicht erlauben«, sagte er.
    Ich schnaubte autistisch oder murmelte undeutlich etwas in mich hinein, ich stellte den Scheibenwischer an und wieder aus, wischte mit einem Ledertuch über das beschlagene Fenster und gleichzeitig fuhr ich so halsbrecherisch, dass der bullige Kerl sich gegen das Armaturenbrett stemmen musste. Schließlich hielt ich mit quietschenden Reifen vor dem Goldenen Handschuh. Im Fenster der Kneipe stand ein kleiner Plastik-Tannenbaum mit Lametta und Wattepilzen. Ich hatte die ganze Zeit vergessen zu atmen und war beinahe am Ersticken. Also atmete ich erst mal tief durch und schaute dann erst meinen Fahrgast an. Er starrte hasserfüllt zurück und machte keine Anstalten auszusteigen. In einer besseren Welt wäre er

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