Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
Vom Netzwerk:
schwarzer Klotz, der etwas einschüchternd Religiöses an sich hatte. Aber als ich zehn Zentimeter vor ihm mit quietschenden Reifen zum Stehen kam, war der Klotz plötzlich nur noch zweidimensional, war nur noch ein dunkler Teerflicken auf der Straße. Zeit, die Firma anzusteuern und Feierabend zu machen. Die einfachsten Subtraktionen auf dem Tourenblock führten mich an die Grenzen meiner Konzentrationsfähigkeit. Wenn ich alle Zahlen übertragen hatte, war die Versuchung groß, noch einen Augenblick im Taxi sitzen zu bleiben und kurz die Augen zu schließen. Ich musste mich zwingen, sofort auszusteigen und mit dem Rad nach Hause zu fahren. Denn wenn ich das nicht tat, schlief ich unweigerlich ein. Und erwachte erst wieder, wenn der Tagfahrer ans Fenster klopfte.
45
    Der Funny Club war wieder geöffnet worden. Also stand ich gegen drei Uhr morgens mit dem Taxi wieder am Siemersplatz. Der Wind peitschte Regen und aufgeweichtes Laub gegen die Fenster. Neben mir im Wagen saß Udo-Zwonullfünf und schaffte es, gleichzeitig in seinem Suhrkamp-Band zu lesen und von seiner Freundin zu erzählen. Udo-Zwonullfünf hatte das eherne Gebot, alle Fahrgäste mit Verachtung zu strafen, gebrochen und etwas mit einer jungen Frau namens Ellen angefangen, die mit ihm vom Hauptbahnhof nach Rothenburgsort fahren wollte. Er hatte sie für ein Model gehalten. Models waren ja die einzigen Fahrgäste, die nicht verachtet wurden. In Wirklichkeit war seine Freundin aber Friseurin, wie Udo-Zwonullfünf mir jetzt erzählte. Friseurin – da war ich doch erstaunt. Wie hielt ein handwerklich und praktisch veranlagter Mensch es nur mit Udo-Zwonullfünf aus. Immer diese Suhrkamp-Bücher, selbst beim Essen.
    »Ich weiß, dass andere Paare schnell in so einen Trott geraten«, sagte Udo-Zwonullfünf, ohne den Blick von der Buchseite zu nehmen, »bei uns ist das anders. Wir sind zwar schon vier Wochen zusammen, aber praktisch immer noch in der Werbungsphase. Und wir wissen, dass wir gut füreinander sind.«
    Die hintere Tür ging auf, und Rüdiger setzte sich zu uns.
    »Ah, du trägst ein neues Sweatshirt«, sagte er zu mir. Das stimmte. Auf dem Sweatshirt war ein Emblem mit einem Eisbärkopf und darüber stand etwas, das den Eindruck erwecken sollte, dass das Shirt 1956 in Aspen gekauft worden wäre.
    »Ich ziehe ja grundsätzlich keine Kleidungsstücke an, auf denen irgendetwas gedruckt steht«, fuhr Rüdiger fort. »Ich lauf d-doch nicht mit der schwachsinnigen Meinung von jemand anderem herum. Ich trage noch nicht mal T-Shirts, auf die ein Bild gedruckt ist, womöglich noch ein witziges – igitt.«
    »Ich würde nicht mal ein Buch lesen, auf das v-vorne ein Bild gedruckt ist«, sagte Udo-Zwonullfünf. In letzter Zeit hatte er das leichte Stottern von Rüdiger übernommen.
    »Das ist doch Unfug, das ist doch kein Kriterium«, sagte ich. »Sogar deine Suhrkamp-Bücher haben manchmal ein Bild.«
    »Nein, haben sie nicht«, erwiderte Udo-Zwonullfünf gereizt, »das ist eine völlig andere Suhrkamp-Reihe, die du meinst. Und diese Sorte von Büchern lese ich eben nicht. Ich lese keine Romane. Du wirst mich nie mit einem Buch antreffen, das auf dem Umschlag ein Bild hat.«
    »Die Unterhaltungsfunktion von Büchern ist ja auch längst überholt«, sagte Rüdiger. »Wer sich unterhalten lassen will, k-kann das viel besser tun, indem er den Fernseher anstellt. Die Funktion von Büchern kann heute nur noch in der geistigen Erfrischung bestehen. Übrigens hat mich Dietrich damit überrascht, dass du selber an einem Buch schreibst. Stimmt das? Ein Buch über das Verhältnis der Geschlechter? Aus der Sicht einer jungen Frau, nehme ich doch an?«
    Ich war stocksauer. Wie hatte Dietrich das nur ausplaudern können. Und dann noch vor Rüdiger.
    »Völlig falsch«, sagte ich. »Es ist kein Buch, sondern bloß eine Kurzgeschichte. Und es geht um das Stockholm-Syndrom. Dass das eben nicht nur bei Entführungsopfern auftritt, sondern auch bei Hausfrauen …«
    »Na, da bin ich aber gespannt«, rief Rüdiger und lächelte hinterhältig. »Jetzt orientierst du dich also an Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer. Na, der Mensch bleibt eben nicht stehen in seiner Entwicklung. Jedenfalls sollte er es nicht.«
    »Also, das Stockholm-Syndrom funktioniert doch so«, sagte ich trotzig, »dass jemand, den du entführst und in einen dunklen Keller sperrst, sich freut, wenn du zwei Tage später mal nach ihm siehst. Der kann gar nicht anders, als sich freuen, dass da endlich

Weitere Kostenlose Bücher