Taxi
jemand kommt. Auch wenn es der ist, der ihm das alles eingebrockt hat. Und das gilt eben nicht nur für Entführungsopfer, das gilt genauso gut für Haustiere oder Hausfrauen.«
»Haustiere und Hausfrauen, soso«, sagte Rüdiger. Er und Udo sahen sich an und zogen belustigt die Augenbrauen hoch.
»Ja, Hunde zum Beispiel. Egal, was für ein mieser Mensch du bist, dein Hund wird dich lieben. Weil er keine andere Wahl hat. Und so funktioniert das eben auch mit Hausfrauen. Man isoliert sie von jedem auch nur halbwegs interessanten Kontakt, und dann lechzen sie natürlich danach, dass der Ehemann nach Hause kommt und ein bisschen von der großen weiten Welt erzählt. Deswegen macht man das ja auch. Damit der Ehemann – der den ganzen Tag im Büro faul in der Nase gebohrt hat – sagen kann: Du Schatz, ich hatte heute einen anstrengenden Tag, lass mich doch erst mal zur Ruhe kommen. Und seine Frau verschwindet dann brav in der Küche, um dem Mistkerl das Abendbrot zu bereiten. Weil sie es sich nicht leisten kann, ihn zu hassen. Sie muss ihn lieben und bewundern, egal, wie ekelhaft er ist. Denn sonst ist da keiner. Sonst ist da gar nichts. Verstehst du?«
»Du hast also herausgefunden, dass die Beziehung zwischen Mann und Frau wesentlich von Manipulation, Hass und Ekel bestimmt wird«, sagte Rüdiger sinnend. »Das ist radikal. Eine völlig neue Erkenntnis und Einsicht. Bravo! Aber du musst damit rechnen, dass deine Mitmenschen erst einmal schockiert sein werden. Dietrich zum Beispiel. Gilt das denn auch für ihn, was du da sagst?«
»Wie soll das denn für Dietrich gelten? Ich bin doch keine Hausfrau.«
Dauernd versuchte Rüdiger, mich über Dietrich auszuquetschen. Ich ging nicht darauf ein, aber natürlich war mir klar, dass Rüdiger gar nicht so daneben lag. Wenn hier einer mit dem Stockholm-Syndrom zu kämpfen hatte, dann war ich das vermutlich selber. Warum erzählte ich denn ausgerechnet diesem Frauen hassenden Wichtigtuer von meiner Kurzgeschichte? Weil ich niemanden sonst hatte, mit dem ich darüber reden konnte. Dietrich interessierten nur die eigenen Ansichten, die er längst und unumstößlich über alles hatte. Meine Familie hielt mich für einen unfähigen Trottel, der ihnen irgendwann auf der Tasche liegen würde, und Fahrgäste kamen ja wohl nicht in Frage. Marco auch nicht mehr. Der wäre vielleicht der Einzige gewesen, dem ich gern davon erzählt hätte. Blieben noch Taximörder, die beiden Udos und Rüdiger. Ich war wie ein einzelner Orang-Utan, den ein geiziger Zoo aus Raummangel mit im Schimpansengehege hielt, wo ihn die Schimpansen zwangen, ein Schimpansenleben zu führen, und ihm gleichzeitig ständig vorhielten, dass er niemals etwas so Tolles wie ein Schimpanse sein würde.
»Beim Stockholm-Syndrom geht es überhaupt nicht um Entführungen, das ist etwas völlig anderes«, sagte Udo-Zwonullfünf. »Beim Stockholm-Syndrom geht es um Geiselnahme. Die Geiseln f-fangen irgendwann an, sich mit den Zielen der Geiselnehmer zu identifizieren.«
»Ist doch egal, wie das heißt«, sagte ich. »Dann eben Hausfrauensyndrom. Das geht doch nicht um den Namen, sondern um die Wahrheit. Dass das Hausfrauendasein erfunden worden ist, um Frauen in emotionaler Abhängigkeit zu halten. Damit auch dumme oder unfähige Männer eine Frau beherrschen können. Damit noch der letzte Blödmann eine Frau abbekommt.«
»Oho, unsere kleine Feministin hat die Wahrheit über das Verhältnis der Geschlechter herausgefunden«, rief Rüdiger. »Respekt, das ist mir freilich noch nicht gelungen, obwohl ich schon seit mehreren Jahren über das Thema nachdenke. Was für eine Art von Wahrheit meinst du eigentlich, den voraristotelischen Wahrheitsbegriff v-von Heidegger oder gar den prädikativen?«
»Wobei man b-beim p-prädikativen Wahrheitsbegriff natürlich noch wissen müsste, ob du ihn a-attributiv oder substantivisch verwendet wissen willst«, ergänzte Udo-Zwonullfünf.
»Die Wahrheit eben«, sagte ich, »so wie es ist, obwohl man es gern anders hätte.«
Rüdiger lächelte fein.
»Na, dann ist es natürlich ein überaus notwendiges, menschheitsgeschichtliches Buch. Dann verdient es, ein Bestseller zu werden, und gehört in jedes Haus, als Pflichtlektüre für alle, die endlich Bescheid wissen wollen.«
»Kein Buch«, sagte ich, »eine Kurzgeschichte.«
»Ein Werk in aufrichtig protestantischem Geist«, fuhr Rüdiger unbeirrt fort, »in guter christlich-abendländischer Tradition, von protestantischer Strenge und
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