Taxi
Du hast gar kein Recht, irgendwas von mir zu verlangen. Ich hab dir überhaupt nichts versprochen. Immer soll ich irgendetwas tun. Immer will jemand, dass ich irgendetwas tue. Warum könnt ihr mich nicht alle zufrieden lassen?«
»Wieso hab ich kein Recht, etwas von dir zu verlangen?« sagte Marco. Sein Gesicht war auf einmal sehr bleich. Die Sommersprossen zeichneten sich deutlich ab.
»Bind mich los«, schrie ich. »Meine Hände sterben ab. Mach mich sofort los. Ich hasse dich.«
»Warum hab ich kein Recht, irgendetwas von dir zu verlangen?«
»Mach mich los, mach mich los. Es tut so weh.«
Ich wollte nicht heulen, aber plötzlich liefen mir Tränen übers Gesicht. Ich versuchte, wenigstens den Kopf wegzudrehen. Marco hielt mich am Kinn fest.
»Warum hab ich kein Recht? Sag es!«
»Weil du hässlich bist«, schrie ich ihn an, »weil du scheiße aussiehst. Mach mich endlich los.«
Der erste Schlag traf mich auf den Rippen, dann schlug er mir zweimal in den Bauch. Mir blieb die Luft weg. Aber schlimmer war, dass ich instinktiv versucht hatte, die Arme herunterzureißen. Jetzt schnitt die Wäscheleine tief in meine Handgelenke. Meine Finger fühlten sich an, als würden sie gleich platzen. Marco stieg endlich von mir herunter. Er blieb auf der Bettkante sitzen und hielt die Hände vors Gesicht. Seine Schultern zuckten.
»Bitte«, jaulte ich, »bind mich los. Es tut so furchtbar weh. Bitte, bitte, bitte.«
Marco drehte sich mit verzerrtem Gesicht zu mir um.
»Wir müssen darüber reden«, sagte er. »Ich wollte das nicht. Ich habe so etwas noch nie gemacht. Du darfst nicht weglaufen, wenn ich dich losbinde. Versprich, dass du nicht gleich wegläufst. Versprich, dass du erst mit mir redest.«
»Ja«, sagte ich, »ja, ja, ja. Ich lauf nicht weg. Bitte, mach mich los. Bitte, bitte, schnell.«
Marco sah jetzt zum ersten Mal auf meine Hände, die inzwischen dunkelblau angelaufen waren. Er sprang auf, rannte in die Küche und kam mit einer Schere und einem scharfen Fleischermesser zurück. Mit dem Messer gelang es ihm, die Leinen durchzusägen. Im ersten Moment, als mir das Blut zurück in die Hände schoss, tat es noch mehr weh. Ich rannte hin und her und hielt die Arme über den Kopf.
»Geht es wieder?«, fragte Marco. »Ich hab das nicht mitgekriegt, dass deine Hände so aussehen. Soll ich mit dir ins Krankenhaus fahren? Es tut mir so leid. Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid mir das tut.«
Ich wartete, bis der Schmerz so weit nachgelassen hatte, dass ich nicht mehr von einer Ecke in die andere rennen musste. Dann suchte ich meine Sachen zusammen, schlüpfte in meine Stiefel und stopfte mein Hemd in die Hose. Knöpfe schließen ging noch nicht.
»Geh bitte nicht«, flehte Marco. »Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Lass uns darüber reden. Wenn du jetzt gehst, kommst du nicht wieder. Ich weiß, dass du dann nicht wieder kommst.«
Ich nahm mit steifen Fingern meine Jacke. Marco stellte sich vor die Wohnungstür und versperrte mir den Weg.
»Bitte«, sagte er, sah zu mir hoch und fasste nach meinem Arm. Ich wich einen Schritt zurück.
»Du hast doch nicht etwa Angst vor mir?«
Bestürzt trat er zur Seite, und ich machte, dass ich aus der Wohnung kam.
44
Ich steckte das Taxifahren nicht mehr so einfach weg wie am Anfang. Zweihundert Kilometer jede Nacht. Dunkelheit und Regen, beschlagene Scheiben, abgenutzte Wischerblätter und unbeleuchtete Hausnummern. Auf den Verkehr achten und dabei auch noch auf den Funk hören und den Weg kennen oder wenigstens so tun, als wüsste man Bescheid und heimlich den Stadtplan neben das Bein legen, und wenn man an einer roten Ampel wartete, unauffällig einen Blick hineinwerfen und gleichzeitig auch noch die passenden Antworten auf das bösartige oder auch einfach nur verrückte Geschwätz der Fahrgäste parat haben. Manchmal fühlte ich mich wie unter Wasser. Die Geräusche drangen nur noch gedämpft zu mir und ich schwebte durch eine stille Welt voller Schatten, Ampeln, Fahrbahnmarkierungen und rot glühender Bremslichter. Hin und wieder huschte eine Chromschnauze vorbei und leuchtete mir anmaßend ins Gesicht. Wenn es ganz hart kam, kriegte ich Halluzinationen. Ein Anläufer winkte am Straßenrand, ich sah ihn deutlich, er hatte eine Aktentasche dabei und trug einen gelb-blau gestreiften Schlips. Doch wenn ich neben ihm hielt, war dort nur noch eine Parkuhr. Oder ein zwei mal zwei Meter großer Quader stand plötzlich mitten auf der Straße. Ein massiver,
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