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Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Hexe. Du musst entweder rechts oder links an diesen beiden Steinen vorbei, auf gar keinen Fall darfst du dazwischen durch. Wenn du umkippst und Pech hast, kannst du vom Wasser unter den Felsen gedrückt werden und kommst nicht wieder hoch.«
    »… und was mache ich dann?«
    »Nerven behalten, aussteigen, Schwimmweste ausziehen und unter dem Wirbel durchtauchen. Aber das schaffst du schon: daran vorbeizufahren.«
    Es rührte mich irgendwie, dass er davon ausging, ich könnte das alles.
12
    Ich stand an zweiter Stelle am Gänsemarkt. Ein Mann mit runder Brille und einem feuchten, verquollenen Gesicht öffnete die rechte Hintertür:
    »Fährst du auch Besoffene?«
    »Natürlich«, sagte ich, »Besoffene sichern meinen Lebensunterhalt.« »Der da vorn will keinen Besoffenen fahren – sein Pech«, sagte der Mann und ließ sich auf den Rücksitz fallen. Die Schultern seines schwarzen Anzugs waren naßgeregnet, in seinem wirren grauen Haar hingen Regentropfen. Falls es nicht Schweiß war. Der Mund sah grauenhaft aus – die Oberlippe eine fleischige, sich ringelnde Molluske, die Unterlippe wie bei den Flundern verschoben. Von der anderen Seite stieg nun eine viel zu junge, viel zu hübsche Frau mit langen schwarzen Haaren ein. Jetzt erst fiel mir auf, dass der Betrunkene einen teuren Anzug trug. Den dünnen schwarzen Schlips hatte er so weit gelockert, dass er ihm wie eine Henkersschlinge um den Hals hing.
    »Wie viel verdienst du pro Nacht?«, fragte er und griff in sein Jackett.
    »Dreihundert.«
    Das war natürlich maßlos übertrieben. Er nahm drei Hundert-Mark-Scheine aus dem Portemonnaie und reichte sie mir.
    »Nach Blankenese.«
    Dreihundert Mark. Ich war gerettet, ich war saniert. Mochte auch überall sonst auf der Welt gerade gelitten, gehungert und elend verreckt werden – dass ich jetzt dreihundert Mark bekam, bewies die Existenz eines liebenden Gottes. Der Taxifahrer, der keine Besoffenen hatte fahren wollen, zog seinen Wagen vor und ließ mich ausparken. Ich hatte gerade erst den Scheibenwischer eingeschaltet und war nicht weiter als bis zur Caffamacherreihe gekommen, da hieß es plötzlich:
    »Halt mal hier irgendwo an und hol mir ’ne Schachtel Zigaretten.«
    »Was für welche?«
    »Egal. Weiße Verpackung.«
    Am Fitnesscenter gab es einen Zigarettenautomaten. Ich fuhr an den Straßenrand und sprang aus dem Taxi. Eine Schachtel Zigaretten. Die sollte er haben, der gute Mensch.
    Ich brachte sie ihm. Er begann zu qualmen. Sein Mund war ein weiches, nasses Loch, in das er die Zigarette steckte.
    »Wie kommt es, dass ein hübsches Mädchen wie du Taxi fährt?«
    »Ist ein guter Job«, sagte ich vorsichtig. Der Grenzstreifen zwischen Umgänglichkeit und Unterwürfigkeit war schmal und glitschig.
    »Ein anständiger Beruf. Keiner über mir, keiner unter mir. Außerdem fahre ich gern Auto.«
    »Hört sich an wie ein Scheißjob.«
    Er aschte neben den Aschenbecher.
    »Hast du einen Freund? Du hast doch bestimmt einen Freund.« Seine Stimme klang, als hätte er viel kalten Speichel im Mund.
    »Ja«, sagte ich. »Ja, hab ich.«
    »Und? Wie ist es so mit deinem Freund im Bett?«
    Wir waren erst Höhe Teufelsbrück, als er das fragte. Bis Blankenese war noch ein langer Weg. Ich schämte mich, dass ich mich so über das Geld gefreut hatte. Den ganzen Wagen hatte ich vollgekleckert mit meiner Dankbarkeit. Ich trat das Gaspedal durch und raste die Elbchaussee entlang.
    »Willst du nicht mehr reden? Was ist? Willst du mir nicht erzählen, wie es mit deinem Freund im Bett ist? Auch gut. Ist wahrscheinlich eh nicht so doll.«
    Ich warf einen Blick in den Rückspiegel. Der Mann hatte sich zurückgelehnt und verteilte die Zigarettenasche auf dem Rücksitz.
    Die hübsche Frau fing meinen Blick, lächelte und nickte mir aufmunternd zu. Die dumme Pute. Wenn ich mehr Charakter gehabt hätte, hätte ich die beiden rausschmeißen und ihnen das Geld vor die Füße werfen können. Andererseits kam es auf die paar Kilometer nun auch nicht mehr an.
    Als sie ausstiegen, bedankte sich die Frau routiniert überhöflich, während ihr Begleiter irgendetwas in sich hineinknurrte. Ich war froh, dass sie weg waren. Ich war auch erleichtert, dass ich das Geld hatte, aber ich freute mich nicht mehr darüber. Man durfte nie den Fehler machen, sich zu freuen.
13
    »Wieso? Horst Janssen hab ich auch schon mal gefahren«, sagte Udo-Zwonullfünf. »Da hab ich bloß fünfzig Mark gekriegt. Dreihundert Mark ist doch super.«
    Wir saßen mit Dietrich

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