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Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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und Rüdiger im Schweinske und tranken Cola.
    »Aber ich hab dem Zigaretten geholt«, jammerte ich. »Ich hab nicht gemerkt, dass der mich nur springen lassen wollte. Mir wird ganz schlecht, wenn ich daran denke, wie ich dem Zigaretten geholt habe.«
    »Der macht ziemlich gute Bilder«, sagte Udo-Zwonullfünf. »Zeichnungen. Und Radierungen.«
    »So schlecht sind die tatsächlich nicht«, warf Dietrich ein. »Ist ja nicht gerade Avantgarde, aber das spricht ja auch irgendwie für ihn, dass er da gar keinen Wert darauf legt, da mitzumischen. Ich könnte mir durchaus vorstellen, mir ein Bild von dem hinzuhängen.«
    »Niemals«, sagte ich. »Sich ein Bild von Horst Janssen in die Wohnung zu hängen, ist noch schlimmer, als für ihn Zigaretten zu holen. Nicht für Geld dazu würde ich mir das stinkende Zeug in die Wohnung hängen. Man kann ein Kunstwerk nicht vom miesen Charakter des Künstlers trennen.«
    » Du kannst das nicht«, sagte Rüdiger. »Frauen sind nun einmal nicht zur Reflexion künstlerischer Darstellung disponiert. Der Zugang zum Genie wird dir für alle Zeiten verschlossen bleiben, weil du kein originelles, sondern bloß ein vom Mann verliehenes Bewusstsein besitzt.«
    »Frauen sind ja das Unbewusste an sich«, pflichtete Udo bei. »Sie bilden sich vielleicht ein, selbsttätig schöpferisch zu sein, aber es bleibt immer nur dreistes Nachahmen.«
    Ich betrachtete ihn verblüfft.
    »Fängst du jetzt auch so an? Hoffentlich ist das nicht ansteckend.«
    Dietrich sah angestrengt vor seine Füße. Ich tat ihm den Gefallen und sagte nichts mehr. Ich stritt mich überhaupt immer seltener mit Rüdiger. Ich war einfach schon zu zermürbt.
14
    Marco besaß ein großes, weiß gekacheltes Badezimmer mit einer Wanne und einer separaten Dusche. Das Wasser kam fast sofort heiß aus der Leitung. Wenn ich geduscht hatte, wickelte ich mich in eines von Marcos flauschigen weißen Handtüchern und schlüpfte noch mal zu ihm ins Bett, und wir unterhielten uns noch ein bisschen. Einmal erzählte ich ihm von den Hochhäusern, die es beim Posten Stellinger Weg gab. Erst kamen die roten Balkons, dann kamen die blauen Balkons, dann kamen die grünen Balkons und dann die gelben. Die grauweißen Hochhäuser mit ihren waagerechten und senkrechten Linien und den bunten Balkonstrichen und den vielen Fenstern sahen für mich immer wie das Schaubild einer Statistik aus. Ein Schaubild, an dem sich das Elend der Menschheit verdeutlichen ließ. Wenn man zum Beispiel davon ausging, dass jede dritte Frau geschlagen wurde und in drei Viertel aller Wohnungen auch mindestens eine Frau wohnte, dann bedeutete das – natürlich bloß rein statistisch –, dass hinter sämtlichen gelben Balkons Frauen geschlagen wurden. Und angenommen, dass in etwa der Hälfte aller Wohnungen Kinder lebten, und vorausgesetzt, dass jedes fünfte Kind sexuell missbraucht wurde, so fand hinter dreien von den acht roten Balkons sexueller Missbrauch statt. Hinter den anderen fünf wurden die Kinder bloß verprügelt. Ich hatte beschlossen, dass die Menschen hinter den beiden oberen blauen Balkons Krebs hatten. Und hinter dem untersten blauen Balkon quälte jemand seine Katze, indem er sie absichtlich in die Waschmaschine stopfte und den Schleudergang einstellte. Das Hochhaus war bis oben hin mit Leid und Bosheit vollgestopft, und dabei hatte ich noch nicht einmal all die Menschen eingerechnet, die bloß ihren Ehepartner mit dessen bestem Freund oder der Freundin betrogen oder die ihren Kindern sagten, dass sie sowieso Versager seien, oder die aus Schusseligkeit vergaßen, ihrem Wellensittich Wasser zu geben, bis ein vertrockneter kleiner Körper im Käfig lag. Die wohnten wahrscheinlich alle hinter den grünen Balkons.
    »Interessiert dich eigentlich noch etwas anderes außer deiner miesen Laune und der Schlechtigkeit der Welt?«, fragte Marco. Ich sah ihn erstaunt an.
    »Ich habe bereits die konservativsten Schätzungen zugrunde gelegt«, sagte ich. »In Wirklichkeit wird wahrscheinlich hinter sämtlichen Balkons jemand gequält. Aber du denkst natürlich, das Leben ist schön, bloß weil du selber gerade keinen Krebs hast und zufällig nicht in einem Krisengebiet lebst?«
    »Ich habe immerhin einen Schwerbehinderten-Ausweis«, sagte Marco. »Ich wohne auch hinter einem blauen Balkon.«
    »Hast du auch so’n Parkplatz-Aufkleber fürs Auto?«
    »Nein. Und wenn, würde ich ihn dir nicht geben. Also meinetwegen: die Welt ist böse und ungerecht. Aber gibt es noch

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