Taxi
irgendetwas anderes, was dich interessiert? Was ist mit der Maueröffnung? Geht das völlig an dir vorbei, was gerade in Deutschland passiert? Der Untergang der DDR interessiert dich überhaupt nicht, stimmt’s? Das ist wirklich bemerkenswert.«
Ich pellte mich aus dem Handtuch und begann, mich anzuziehen.
»Das konnte ja gar nicht klappen mit der DDR«, sagte ich. »Die vorrangigen Primaten-Interessen heißen nun einmal nicht Gleichheit und Brüderlichkeit, sondern Macht und Geltung. Und letztlich werden diese Interessen in sämtlichen Staatsformen der Erde verfolgt. Mit unterschiedlichen Mitteln vielleicht, aber es sind immer dieselben Interessen.«
»Ach ja, richtig – für Affen interessierst du dich ja auch noch. Aber du kannst nicht immer alles mit Affen erklären. Die sind nicht für alles zuständig, deine Affen. Wann sehe ich dich wieder?«
»Ich weiß noch nicht. Diese Woche wahrscheinlich nicht mehr. Ich komme vielleicht am Montag zu dir. Oder Dienstag.«
15
Einen Tag vor Weihnachten polterte Majewski morgens um sechs mit einem kleinen blauen Kunststoffboot vor meiner Tür.
»Das ist für dich. Es ist etwas größer und nicht so wendig wie meins, aber dafür kippst du darin nicht so schnell um.«
Auf der Unterseite des Bootes stand in kürbisgroßen roten Buchstaben: DEMOLITION MAN. Ich rollte den Neoprenanzug auf, den Majewski mir mitgebracht hatte. Währenddessen schleppte er das blaue Boot zu seinem Auto. Dann hörte ich ihn die Treppen wieder hochrennen, er nahm immer drei Stufen auf einmal – das reinste Energiebündel, und das morgens um sechs. Er kam mit einem noch kleineren grünen Boot wieder herunter. An seinen Schultern hingen zwei Sporttaschen. Draußen war es immer noch so dunkel wie in tiefster Nacht. Majewskis BMW parkte im Halteverbot. Das Auto war weiß, mit schwarzen Türen und Kotflügeln. Und schwarzen Spoilern. Ich hatte überhaupt nichts gesagt, aber Majewski fing gleich an, sich zu rechtfertigen:
»Alle fragen mich, warum ich so ein Auto fahre. Und alle denken, ich will damit angeben. Aber ich brauche das. Ich brauche das wirklich. Ich sitze manchmal tagelang im Auto. Ich muss so viel fahren, ich muss einfach schnell sein. Die Spoiler brauch ich wegen der Straßenlage. Ich will ihn ja noch weiter tunen lassen, damit er es auf dreihundert bringt.«
Er rüttelte an den Booten, ob sie auch fest auf dem Dachgepäckträger saßen.
»Stell dir vor, einmal wollte eine Anhalterin deswegen nicht bei mir einsteigen. Ich halte ganz freundlich an, und sie sagt: Nääh, in so ein Auto steig ich nicht .«
Majewski fuhr wie ein Geisteskranker. Mit hundertzwanzig durch die Stadt und mit zweihundertvierzig über die Autobahn. Ich hatte ein bisschen Angst, fühlte mich aber schlagartig wach und ungewohnt lebendig. Allmählich wurde es hell. Ein grauer Himmel ohne Sonne. Wir zogen an den anderen Autos vorbei, als würden sie stehen. Zum Glück waren noch nicht viele unterwegs. Keiner von diesen Rentnern auf dem Weg zum Weihnachtsfest bei den Enkelkindern war in der Lage, Geschwindigkeiten über hundertfünfzig Stundenkilometer einzuschätzen. Falls einer auf die Idee kam, plötzlich auszuscheren, waren wir fällig. Einer scherte aus. Majewski riss seinen BMW nach links auf den Grasstreifen neben der Leitplanke. Der Wagen bockte und schleuderte. Majewski lenkte konzentriert gegen. Sein Gesicht sah dabei völlig entspannt aus. Den Mund hielt er sogar leicht geöffnet. An einer Stelle klebte die Haut seiner Unterlippe noch an der Oberlippe und zog sich wie ein Kaugummi. Er lenkte wieder auf die Überholspur.
»Hast du dich erschreckt? Du klebst ja geradezu im Sitz.«
Er sah mir frech in die Augen.
»Kuck du mal lieber nach vorne« sagte ich, tastete nach dem Gurt und schnallte mich demonstrativ an. Aber in Wirklichkeit hatte ich gar keine Angst, sondern bewunderte Majewski maßlos. Wer Auto fuhr wie er – kein Zweifel, der lebte.
Auf einer engen kurvigen Bergstraße hielt Majewski schließlich an und wir stiegen aus. Es war immer noch grausig früh. Ein kalter und trüber Tag. Auf einer Wiese lagen noch Schneereste. Rechts der Straße fiel ein Hang steil ab, und etwa zwanzig Meter unter uns tobte der Fluss vorbei.
»Etwas mehr Wasser als sonst«, sagte Majewski. »Das liegt wahrscheinlich an dem ganzen Schnee, der jetzt weggetaut ist.«
Ich schaute in die Tiefe. Der Fluss hatte keine Ähnlichkeit mit dem, den mir Majewski in dem Video gezeigt hatte. Weiß, das Wasser war weiß und
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