Taxi
es ja wohl kein Aufwand, jemandem mal schnell den Weg zum Hauptbahnhof zu erklären – auch wenn es dessen Beruf ist, den Weg eigentlich zu kennen. Es sei denn, man empfindet es überhaupt als Zumutung, mit einem Taxifahrer zu sprechen.«
Vati und Mutti sagten gar nichts mehr. Wenn ich nicht bereit war, ihre stupiden Ansichten zu bestätigen, gab es auch keinen Grund, weiter mit mir zu reden. Zum Glück fiel mir auf dem Weg nach Bramfeld wieder ein, wo der Hohnerkamp abging. Sonst hätten sie mich vorbeifahren lassen, um danach über mich herzufallen. Trinkgeld gab es natürlich auch nicht. Ich bekam überhaupt immer weniger Trinkgeld in letzter Zeit.
38
Da ich mich in Bramfeld schlecht auskannte, fuhr ich wieder in die Innenstadt zurück. Aber statt wie sonst links zum Karl-Muck-Platz bog ich diesmal rechts ab, nahm die Feldstraße und hielt mich am Pferdemarkt wieder rechts. Als ich in der Schanzenstraße ausstieg, fauchte mich ein heftiger Wind an. Für die frühen Morgenstunden war wieder Sturm angesagt. Helle und dunkle Wolken wischten über den Dreiviertelmond und überholten sich gegenseitig. Ich zog den Reißverschluss meiner Lederjacke bis zum Hals hoch.
Das Haus, in dem Marco wohnte, war inzwischen mit einem Baugerüst eingekleidet worden. Die Plastikfolien daran blähten sich und knatterten im Wind. Ich drückte gegen die Haustür. Sie war nur angelehnt. Das Treppenhaus war von einer feinen Schicht Mörtelstaub überzogen. Ich stieg die Treppe hinauf und klingelte an Marcos Wohnung. Nichts rührte sich. Sofort war ich entsetzlich niedergeschlagen. Ich klingelte noch einmal. Jemand zog die Toilettenspülung, dann öffnete Marco die Tür. Wie jedes Mal, wenn ich ihn länger als ein paar Tage nicht gesehen hatte, staunte ich, wie klein er war. In meiner Erinnerung kam er mir immer viel größer vor. Marco erschrak richtig, als er mich sah. Er trug ein blauweißes Hawaiihemd mit kurzen Ärmeln, die ihm bis über die Ellbogen hingen. Er sah lächerlich aus in diesem Hemd. Das machte mir Mut.
»Hallo«, sagte ich. »Lässt du mich rein?«
»Du traust dich ja was! Tauchst hier einfach so auf. Na ja, hast du ja immer so gemacht.«
»Du hattest mich doch angerufen, weil du dich mit mir treffen wolltest«, tat ich empört. »Du hast dich doch beschwert, dass wir uns so lange nicht gesehen haben.«
»Das war vor zwei Monaten. Ich hab überhaupt nicht mehr mit dir gerechnet. Vor zwei Monaten wollte ich dich treffen.«
»Und? Jetzt nicht mehr?«
Marco stemmte seinen kurzen Arm gegen den Türrahmen, um mir den Weg zu versperren.
»Jedenfalls nicht heute. Komm morgen wieder. Heute geht das nicht. Ich krieg noch Besuch.«
»Ruf sie an, und sag ihr, dass dir was dazwischengekommen ist.«
Marco starrte mich finster an.
»Seit wann trägst du eigentlich eine Brille?«
»Schlaf mit mir«, sagte ich.
Marco fing an zu blinzeln und zog seine Augenbrauen zusammen.
»Aber du wartest hier draußen, während ich telefoniere. Ich will nicht, dass du mir dabei auch noch zuhörst.«
Er zog die Tür vor meiner Nase zu. Im selben Moment ging im Treppenhaus das Licht aus. Ich tastete nach dem Lichtschalter und knipste es wieder an. Dann setzte ich mich auf die oberste Treppenstufe. Während ich wartete, zog ich den Reißverschluss meiner Lederjacke auf, holte mein Portemonnaie aus der Innentasche und zählte das Geld. Hundertdreizehn Mark und vierzig Pfennige. Ungefähr vierzig Mark davon gehörten Firma Mergolan. Ich fuhr seit fast sechs Jahren Taxi und alles, was ich davon übrig behalten hatte, waren dreiundsiebzig Mark und vierzig Pfennige. Die Tür ging wieder auf, Marco hielt mir die Hand hin und half mir hoch. Schweigend ging er vor mir her in seine Wohnung. Das Deckenlicht hatte er bereits ausgeschaltet. Auf dem Boden schimmerten die drei Kugeln. Marco schubste mich gereizt gegen sein Bett und steckte dann mürrisch die Hände in die Hosentaschen. So weit er sie hineinkriegte. Ich zog meine Stiefel aus, legte mich auf den Futon und verschränkte meine Hände hinter dem Kopf. Marco blieb eine Weile neben dem Bett stehen und sah grimmig auf mich herunter, dann seufzte er und legte sich neben mich auf die Seite. Er stützte das Kinn auf, seine Finger verdeckten den Mund.
»Fass mich an«, sagte ich.
Marco nahm die Hand von seinem Mund und schnaubte Luft durch die Nase. Er schüttelte ungläubig den Kopf.
»Warum kannst du nicht nett sein? Wenn du mit mir vögeln willst, solltest du wenigstens so tun, als ob du
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