Taxi
Wahrsager. Als ich den Kopf schüttelte, schenkte er ihn mir großmütig.
»Das dir Macht geben über – wie heißen? Wenn du dies Amulett tragen, er immer müssen tun, was du wollen. Er wollen tun andere Sachen – er nicht können.«
»Wie wunderbar und nützlich«, sagte ich.
»Wir uns sehen wieder. Bald … vielleicht … in einem Jahr.«
Er huschte aus der Tür. Der metallicblaue Umhang wehte hinter ihm her.
Kurz darauf kam Udo-Dreidoppelsieben zurück, musterte das geputzte Fenster und wischte mit dem Ärmel über eine Schliere, die ich nicht wegpoliert hatte.
»Hast du die Rechnungen fertig?«
»Dazu bin ich nicht gekommen.«
»Was heißt das? Du sitzt hier drei Stunden rum und schaffst es nicht, zwei Rechnungen einzugeben? Was denkst du, wofür ich dich bezahle?«
Ich nahm das Amulett in die Faust, drückte es an meine Stirn und sagte: »Glücklich, glücklich.«
»Komm mir bloß nicht so«, sagte Udo, »ich will Leistung sehen.«
34
Die Nacht verlief ruhig. Ich hielt trotzdem lange durch, und gegen zwei Uhr morgens bekam ich tatsächlich noch eine Tour nach Bergedorf. Die Strecke bestand zum größten Teil aus einer zehn Kilometer langen Schnellstraße. Es waren kaum noch Autos unterwegs. Auf der Hinfahrt hielt ich mich zurück, fuhr nie mehr als zwanzig Stundenkilometer über der erlaubten Geschwindigkeit. Aber nachdem ich den Fahrgast abgesetzt hatte, trat ich das Gaspedal bis zum Anschlag herunter, die Scheinwerfer bohrten mir einen Tunnel durch die mondlose Nacht, und der Rückweg wurde zu einem einzigen langen Sprung. Ich fuhr nicht schnell, um absichtlich die Straßenverkehrsordnung zu missachten. Ich fuhr schnell, weil mir das zustand. Weil ich dafür geeignet war. Ich war mit meinem Taxi verwachsen, jedes Teil der Karosserie gehörte zu meinem Körper, meine Füße waren kreisrund, und mein Gehirn hatte auf Autopilot geschaltet. Mit dem Ende der Schnellstraße kamen die Ampeln und Lichter der Eiffestraße auf mich zu und schoben sich perspektivisch zu einer rotweißen Lichterpyramide zusammen. Ich bog rechts in den Rückersweg ein und dann links in die Hammer Landstraße. Schatten, Umrisse, Fahrbahnmarkierungen. Kein Mensch unterwegs. Alles schlief. Und plötzlich stand da ein anderes Taxi, mitten auf der vierspurigen Straße. Die Szene war gut beleuchtet, das Taxi hatte auf Höhe einer Straßenlaterne gehalten. Im Heckfenster leuchtete das Zeichen vom Regenbogen-Funk. Ich hielt direkt dahinter, ebenfalls in der Mitte der Fahrbahn, und stieg aus. Es war unheimlich still. Das Regenbogentaxi war leer. Seine Fahrertür stand offen. Dann sah ich, dass unter dem Wagen jemand lag, nur die Füße schauten heraus. Ich dachte sofort an Tossi und kniete mich auf den Asphalt, um unter den Wagen zu sehen. Lange dünne Beine in Jeans. Plötzlich krümmten sich die Beine, streckten sich wieder und krümmten und verdrehten sich, als versuchte jemand unter dem Taxi hervorzurutschen, ohne die Arme zu benutzen.
»Hallo«, sagte ich, »alles in Ordnung? Oder bist du gerade ermordet worden?«
Tossi wand sich unter dem Wagen hervor. Er hielt ein Kaninchen im Arm. Es war eines von den Wildkaninchen, die zu Tausenden die Stadt bevölkerten und in aller Ruhe auf den Verkehrsinseln grasten, während um sie herum die Lastwagen und Wohnmobile vorbeifauchten.
»Ich dachte schon, ich hätte es überfahren«, sagte Tossi. Das Kaninchen hatte nichts gebrochen, aber dort, wo seine Augen hätten sein sollen, befanden sich nur noch zwei blutige rote Löcher. »Myxomatose«, sagte ich. »Diese Kaninchenkrankheit. Hoch ansteckend.«
»Was machen wir jetzt?«, sagte Tossi und hielt das Kaninchen etwas weiter von sich weg.
Ich fiel auf sein wir herein.
»Wir müssen es töten.«
»Nein«, sagte er, »nein, ich kann das nicht.«
»Es quält sich. Es verhungert langsam. Willst du es blind auf der Straße herumirren lassen, bis es überfahren wird. Oder bis jemand seinetwegen gegen einen Baum fährt? Oder in eine Kindergartengruppe? Außerdem wird es sowieso bald sterben und steckt vorher bloß alle anderen Kaninchen an.«
Wenn ich mich richtig erinnerte, tötete man Kaninchen, indem man ihnen einen kräftigen Schlag ins Genick gab. Ich öffnete meinen Kofferraum und sah nach, was ich dabei hatte. Wir standen immer noch mitten auf der Straße. Ein einsamer Golf fuhr vorbei, der Fahrer lenkte langsam um uns herum und blickte mit dummem Gesicht herüber. Ich hatte noch nie etwas getötet, außer einem Fasan, der mir gegen
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