Taylor Jackson 01 - Poesie des Todes
keinen Treffer zu seinem Modus Operandi im System. Und außer den forensischen Beweisen haben wir keine weiteren Informationen über ihn. Zeugenaussagen sind dünn bis nicht existent. Er ist ein echtes Gespenst, was Teil seines Plans ist.” Das Violent Criminal Apprehension Program, kurz VICAP, hatte sämtliche verfügbaren Informationen über alle begangenen Verbrechen gespeichert und würde ihnen anzeigen, wenn bei einem anderen Fall ähnliche Parameter aufgefallen wären. Baldwin hatte auf einen Treffer gehofft, aber bisher kein Glück gehabt.
Er hörte auf, herumzutigern. Seine Augen funkelten. “Es ist eine Herausforderung. Er genießt die Tatsache, dass wir ratlos sind. Wir können nicht vorhersagen, wohin es ihn als Nächstes zieht. Und das stellt sicher, dass wir auf der Hut sind. Denkt an meine Worte. Er bettelt uns geradezu an, zu versuchen ihn zu finden.”
5. KAPITEL
W hitney Connolly saß in ihrem Büro zu Hause an ihrem Computer und schrieb E-Mails an Leute im ganzen Land. Das war ihr morgendliches Ritual. Egal an welchem Tag, sie stand aus ihrem einsamen Bett auf, lief für einen Latte Macchiato zu Starbucks, grüßte auf dem Weg dorthin alle Menschen, die sie kannte oder auch nicht, mit einem milden Lächeln, kehrte nach Hause zurück und schaltete den Computer ein. Sie hatte ein großes Netzwerk, mit dem sie kommunizierte, und die E-Mails waren nach Wichtigkeit sortiert. Freunde kamen als Erstes, weil es in dieser Kategorie die wenigsten E-Mails gab. Und weil sie im Großen und Ganzen die freundlichsten ihrer Kommunikationspartner waren, folgten sie als Nächstes: die Fans. Es gab sie in allen Formen und Farben. Weiblich und männlich, jung und alt. Erfreulich und nicht so erfreulich. Es war schwer, ihren Mitteilungen auszuweichen, wurden doch die E-Mail-Adressen der Reporter immer am unteren Bildschirm eingeblendet, sobald sie auf Sendung waren. Außerdem fand man sie auch auf der Internetseite direkt neben dem jeweiligen Foto. Die interessierte Öffentlichkeit hatte also jederzeit Zugriff auf diese Adressen.
Whitney fand, dass es wichtig war, zu antworten; denen zu danken, die ihre Arbeit vom Vorabend lobten, und höflich zu denen zu sein, die es nicht taten. Die Top-Reporterin in Nashville zu sein hatte seine Vorteile, das war sicher. Aber es war auch unvermeidlich, hier und da einige Zuschauer zu verärgern, und sie fühlte sich ein bisschen dafür verantwortlich, das Unbehagen dieser Menschen anzuerkennen und zu versuchen, die Dinge wieder geradezurücken. Kundenpflege, sozusagen.
Heute war jedoch ein guter Morgen. Sie hatte vierzig Fanmails, und nur fünf davon waren nicht einverstanden mit ihrer Vorstellung am Vortag. Sie las die Kommentare sorgfältig und fertigte die Spinner mit einem einfachen “Es tut mir leid, dass Sie mit unserer Leistung nicht zufrieden waren. Wir geben unserer Bestes in der Hoffnung, Sie in Zukunft zufriedenzustellen” ab. Denen, die wohlwollende, liebevolle E-Mails geschrieben hatten, dankte sie überschwänglich, und die Fragen derer, die meinten, besser zu wissen, wie die Welt funktionierte, beantwortete sie mit großer Ernsthaftigkeit. Nachdem diese Aufgabe erledigt war, nahm sie einen großen Schluck von ihrem kalt werdenden Latte Macchiato und machte sich an die nächste Gruppe. Die wichtigste Gruppe. Die, die wirklich zählte. Die der Informanten.
Whitney verfügte über ein weit gespanntes Netzwerk an Leuten im gesamten Land, das ihr Informationen schickte. Sie pflegte diese Gruppe seit Jahren, ergänzte seriöse und nicht so seriöse Kontakte. Sie hatte Ziele, große Ziele. Sie wusste, dass sie nur eine Story von ihrem großen Durchbruch entfernt war. Eine der besten Reporter in Nashville zu sein war schon nicht schlecht. Ihr Sender war Marktführer und sicherte sich stets höhere Marktanteile als die Konkurrenz. In der Woche kümmerte sie sich um die Recherchen, und am Wochenende war sie die Sprecherin der Zehnuhrnachrichten. Aber tief drinnen fühlte sie, dass sie besser war als jeder Vollzeit-Nachrichtensprecher. Sie war schon ein paar Jahre im Geschäft – und mit vierunddreißig wurde es langsam Zeit, von einer der großen Sendeanstalten bemerkt zu werden. Sie wollte nach New York. Nicht nach Atlanta, wo alle gleich aussahen und keine eigene Meinung äußern durften. Nein, man musste in New York sein, und sie war nur eine große Geschichte davon entfernt.
Unbestritten hatte sie das dafür notwendige Aussehen. Groß, mit langen, schlanken
Weitere Kostenlose Bücher